Polemik

Textauszug

»Boys don't cry«
Zugegeben. Bei mir rennt Raimar Stange, wenn er in seiner Polemik »Ästhetizismus statt Engagement« im letzten artist Kunstmagazin (Nr. 65) sein Problem mit »weiten Teilen jüngerer zeitgenössischer Kunst« formuliert, grundsätzlich offene Türen ein. Einfach, weil es prinzipiell nie schadet, wenn man der jeweils aktuellen Kunst produzierenden Jugend den Schädel zurecht rückt. Und weil Kunst, obwohl als Lifestyle-Accessoire selten so präsent wie zur Zeit, was ihre »Notwendigkeit« jenseits bloßer Marktargumente betrifft, recht wenig zu ihrem hier und jetzt, zur Zeit aber leider auch zu ihrem jeweiligen So-und-nicht-anders-sein zu sagen hat. Auch ich habe, öfter als mir lieb ist, die Vermutung, dass das, was man als cutting edge zeitgenössischer Kunstproduktion so vorgeführt bekommt, nicht alles sein kann. Dass es irgendwie mehr sein müsste als nur die medienübergreifende Reproduktion allseits bekannter formaler und inhaltlicher Verfahren. Insofern könnte es ja durchaus interessant werden, wenn Raimar Stange vehement die »Frage nach der (gesellschaftspolitischen) Notwendigkeit« der aktuellen Kunstproduktion ins Spiel bringt und damit einen Bewertungs-maßstab außerhalb werkimmanenter künstlerischer Logiken einfordert. Wenn man aber schon unbedingt so ein Fass aufmachen muss, dann doch bitte mit den adäquaten Argumenten und passenderen Beispielen. Und vielleicht mit einer etwas schärfer fürs hier und heute gefassten Zielsetzung vor Augen. Was es hier nämlich nicht wieder braucht, sind Systembefragungen, wie sie turnusgemäß fast in jeder Saison wiederkehren. Grundsatzfragen, die den Anschein erwecken, den Betrieb booten zu wollen, die aber über weinerliches Beklagen des Status quo nicht hinauskommen - was ärgerlich ist.

Hans-Jürgen Hafner