Interview

Textauszug
Yilmaz DziewiorJ.K.: Sie positionieren sich zwischen den Polen. Ihr Ausstellungsprogramm in Hamburg war weder klassisch orientiert noch diskurslastig. Sitzen Sie gern zwischen den Stühlen, sind Sie auf der Suche nach einer neuen Mitte?
Y.D.: Es freut mich zu hören, dass Sie mein Programm als ausgewogen beschreiben. Sollte ich meine Position charakterisieren, würde ich bestimmte Stränge betonen. Hierzu zählt eine Öffnung hin zu nicht-westlicher Kunst, wie ich sie in Hamburg mit Einzelausstellungen etwa von Bodys Isek Kingelez, Cildo Meireles oder Zhang Huan praktizierte. Aber auch die interdisziplinäre Ausrichtung bei »Bühne 03« oder bei »Drei Geschäfte: Mode, Musik und Bücher« halte ich für ein wesentliches Merkmal meiner kuratorischen Position. Vielleicht deckt sich Ihre Bezeichnung »einer neuen Mitte« mit meiner Vorstellung notwendige zeit- und ortgemäße Formen der Präsentation und Vermittlung aktueller kultureller Produktion zu erarbeiten? Dies war und ist mir nach wie vor ein zentrales Anliegen.
J.K.: Neben Ihrer Tätigkeit als Direktor hatten Sie eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Für die 68er Generation war es selbstverständlich, die Regelstudienzeit um etliche Semester zu überziehen. Wer heute hingegen länger als vorgeschrieben studiert, gilt als arbeitsscheu. Damals ging es um abstrakte Wissensaneignung und heute um konkrete Vorbereitung auf den Beruf. Inzwischen bestimmen Bolognabeschlüsse, Bakkalaureat, Bachelor und Magisterstudium den universitären Alltag. Stephan Schmidt-Wulffen, Ihr Vorgänger in Hamburg, heute Rektor der Akademie der bildenden Künste in Wien, fordert eine stärkere Theorieberücksichtigung als Teil künstlerischer Praxis. Mir scheint, die neuen Strukturen an den Hochschulen zielen auf Verschulung und Schmalspurkenntnisse einerseits und auf Verwissenschaftlichung andererseits. Beides tut der Bildenden Kunst nicht gut. Wie beurteilen Sie die Lage?
Y.D.: Dies ist wirklich ein schwieriges Thema. Grundsätzlich glaube ich, dass ein Effizienzdenken, wie es in naturwissenschaftlichen Fächern vielleicht Sinn macht, im Studium der Bildenden Kunst problematisch ist. Angelika Nollert und ich haben uns zusammen in Kooperation mit dem Goldsmith College London, dem Van-Abbe-Museum Eindhoven und dem MUHKA in Antwerpen im Kunstverein mit dem Projekt »Akademie. Kunst lehren und lernen« ausführlich mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt und auch meine eigenen Erfahrungen als Professor an der HfBK waren äußerst zwiespältig. Vor der Einführung einer stärkeren Regulierung und Kontrolle gab es in meinen Seminaren immer wieder auch Studierende, die nur sporadisch auftauchten, sich hier und da nahmen, was sie für nützlich hielten, sich ansonsten aber aus meiner Sicht zu wenig im Theoriebereich engagierten. Nach der Umstellung auf ein sogenanntes Modulsystem verdoppelte sich die Anzahl der Teilnehmer in meinen Seminaren und die meisten kamen regelmäßig. Allerdings nahmen einige lediglich teil, weil sie ihren „Theorieschein“ brauchten. Sie interessierten sich eigentlich nicht wirklich dafür und wollten lieber wieder zurück an die Leinwand. Auch wenn ich für beide Verhaltensweisen grundsätzlich Verständnis haben kann, sinnvoll für ein möglichst umfassendes Kunststudium ist weder die eine noch die andere.