vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 94

Portraits

Julia Schmid | Tue Greenfort | Kerstin Cmelka | Frank Stella | Kris Martin

Interview

Marius Babias

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Kornelia Hoffmann

Edition

Kerstin Cmelka

Portrait

»Change«, Dokumentationsfoto, Theaterperformance von Kerstin Cmelka mit Hanno Millesi, Manuel Gorkiewicz und Christian Wallner, Kunstverein Harburger Bahnhof, 06. 12.2012, Foto: Jens Franke

Textauszug

Kerstin Cmelka
Wie werden Künstlerkarrieren gemacht, wie Künstlerbiografien vernichtet? Ein zeitloses Lehrstück über das lancierte Hochjubeln eines Nachwuchskünstlers, den man dann ebenso kalkuliert wieder fallen lässt, liefert das 1969 uraufgeführte Theaterstück »Change? des österreichischen Dramatikers Wolfgang Bauer (1941-2005). Die aus Mödling bei Wien stammende Berliner Künstlerin Kerstin Cmelka, Jahrgang 1974, hat für ihr identisch betiteltes Stück »Change« fünf Szenen aus Bauers Original sowie eine weitere Szene aus seinem Stück »Magic Afternoon« (1967) auf heutige Verhältnisse und Sehgewohnheiten hin adaptiert. Sie inszeniert dieses Stück, das ironisch und entlarvend zugleich die Mechanismen des Kunstbetriebs mit all seinen immanenten Pseudo-Freundschaften, Intrigen, Verlogenheiten und Wertschöpfungsketten thematisiert, als prägnantes Mikrodrama. Ein aus dem Wiener Vorort St. Pölten stammender Hobbymaler stellt sein Werk einem etablierten Künstler und seinem Freund, einem einflussreichen Kritiker, in dessen Wohnung beim Rotwein vor. Beide sind sich schon vorher einig: Der ahnungslose Autodidakt soll aus dem Nichts zum neuen Kunststar aufgebaut werden. Ausstellungen, positive Mundpropaganda und lobende Kritiken sollen den Nobody zum Talk of the Town machen. Danach aber darf der Ruhm des jungen Shooting Stars bitteschön ebenso schnell verblassen wie er gekommen ist. Der junge Held soll sogar in den verzweifelten Selbstmord getrieben werden. Die Preise für seine Werke dürften danach geradezu explodieren. Geht das perfide Spiel auf?

Kerstin Cmelka gelingt es, kunstimmanente, aber auch gesellschaftliche Fragestellungen und Entwicklungen spielerisch, schauspielerisch und inszenatorisch aufzunehmen und gleichzeitig ebenso beiläufig wie konsequent zu analysieren. Eitelkeiten im Kunstbetrieb, der Warencharakter von Kunst, Modephänomene, Gender-Verschiebungen, der »neue«, sich metrosexuell und romantisch inszenierende Mann, aber auch ihre eigene Verstricktheit in das alles treiben sie dabei an. Dazu ein neuer Feminismus, dem es, so Cmelkas Forderung in ihrem Aufsatz »Teilt euch eure Kräfte ein!« für das Feminismus-Heft von Texte zur Kunst im Dezember 2011 gelingen möge, seine Werkzeuge zum Beispiel gegen sexistische Provokationen »hoch zu frisieren« sowie den »Kräfte raubenden Kampf der pausenlosen Verteidigung einfach nicht mehr zu führen und die gesamte Energie viel unlauterer und verschwenderischer in ein feministisches Praxisfeld fließen zu lassen.« Literarische, filmische und kunsthistorische Zitate liefern dabei oft die historische Folie für Cmelkas Untersuchungen aktueller Phänomene. Was haben uns Valie Export, Ingmar Bergmann oder Oskar Kokoschkas Alma-Mahler-Puppe heute noch zu sagen? Kerstin Cmelka positioniert sich da als Künstlerin, Regisseurin und Darstellerin mit einem untrüglichen Gespür für Re-Aktionen, Re-Visionen und Re-Lektüren. Ironie und Selbstironie sind daneben ein wichtiges Bindeglied für die einzelnen Arbeiten. Ob als aufgekratzte Künstlerbraut, als coole Wiedergängerin von Valie Export, Wiener Volksschauspielerin oder Filmdiva in Romy Schneider-Pose: Kerstin Cmelka schlüpft mit großer spielerischer Leichtigkeit in jede sich ihr anbietende Rolle. Bei aller Wandlungsfähigkeit verbirgt sie sich aber nicht hinter Masken. Sie selbst als Künstlerin bleibt stets zu erkennen. Kerstin Cmelka hebt die Verflechtungen und Verkrustungen des Kunstsystems kreativ und kritisch auf die Bühne und bleibt gleichzeitig Teil davon. Die Außenperspektive dürfen andere einnehmen.

Nicole Büsing / Heiko Klaas