Artist Ausgabe Nr. 113
Portraits
Hiwa K | Axel Hütte | Ralph Schuster | Jan GrooverInterview
Christian Kaspar SchwarmPage
Fernando BryceEssay
Roland SchappertEdition
Ralph SchusterInterview
Christian Kaspar Schwarm, Foto: Jana Gumprecht
Textauszug
Christian Kaspar SchwarmJ.Krb.: Auf Ihrer Plattform sind Interviews mit Sammlern, Künstlern und Galeristen zu finden, ebenso praktische Hinweise in Sachen Konservierung, Erbregelungen und Steuerrecht. Wer entscheidet über die Inhalte, kann jeder dabei sein?
C.K.S.: Wir verstehen Independent Collectors heute vor allem als öffentliches Online-Magazin, dessen Inhalte von unserem Team sorgfältig kuratiert und erstellt werden. Ich habe schon viele andere Online-Plattformen kommen und gehen sehen, die sich in dieser Hinsicht offener positioniert haben – meistens allerdings mit knallhart kommerziellen Absichten. Was zunächst einmal durchaus sympathisch wirken mag – wenn jeder einfach alles hochladen kann, was er oder sie möchte – führt in der Kunstwelt sofort zu einer unumkehrbaren Überflutung mit Mittelmäßigkeit. Bei Independent Collectors geht es uns aber immer um Inspiration und Diskurs – und damit automatisch um ganz besondere Inhalte, ungewöhnliche Perspektiven, kantige Charaktere. Wir wollen also gerade kein Facebook des Sammelns sein, sondern vielmehr ein buntes Haus im Internet, mit tollen Ausstellungen, einer Bibliothek und einem Café, in dem man Gleichgesinnte aus aller Welt trifft.
J.Krb.: Nun zu den Objekten ihrer Begierde, zu Ihrer Passion des Sammelns. Axel Haubrok sagte mir im Interview, man muss zum Sammler geboren sein und zusammentragen wollen. Thomas Olbricht betonte, Sammler und Jäger ist ein altes Menschheitsprinzip. Wie sind Sie zum Sammeln gekommen?
C.K.S.: Ehrlich gesagt: Es passierte einfach. Ich hatte nie vor, ein sogenannter Sammler zu werden und hadere ehrlich gesagt noch heute mit dem Statischen, das in diesem Wort steckt. Das pure Anhäufen von Dingen hat ja per se etwas ausgesprochen anti-dynamisches. Meine Sammlung und meine Bibliothek sollen aber viel mehr brodelnde Schmelztiegel sein als alte Scheunen, in die man immer noch mehr Zeugs hineinstopft. Aus diesem Grund kaufe ich auch nicht sehr oft und viel. Quantität schreckt mich wie gesagt eher – ich greife selten zu, dann aber mit aller Begeisterung und Überzeugung.
J.Krb.: Sammler lassen sich als Mäzene von der Politik hofieren, sind aber primär an Wertzuwachs interessiert, benutzen die Museen als Zwischenlager für den Markt, so lautete vor einigen Jahren die Kritik in den Medien. Jedoch gehört diese Schelte längst der Vergangenheit an. Jüngst hat sich eine andere Kritikvariante herausgebildet. Kunstsammlungen dienen als Distinktionsinstrument, es geht um den Preis des Werkes, nicht um Rezeption. Wolfgang Ullrich spricht in diesem Kontext von »Siegerkunst«, die die Kaufkraft derer demonstrieren soll, die Höchstpreise bezahlen können und zum wichtigsten Ingrediens einer exklusiven Lebenswelt der Erfolgreichsten in Wirtschaft, Film, Sport, Politik, Showbusiness geworden ist. Diese Crème de la Crème wird von Rekordpreisen nicht abgeschreckt, sondern magisch angezogen. Wie beurteilen Sie die Lage?
C.K.S.: Pardon, aber die Welt, die hier skizziert wird, wirkt auf mich – trotz allem unterstellten materiellen Reichtum – doch eher armselig. Es mag durchaus Menschen geben, die auf die erwähnten, simplen Reize reagieren. Ich kenne sie nicht, und ich glaube auch nicht, dass es viele sind. Ich weiß von keinem wirklich leidenschaftlichen Sammler, der auf Auktionen siebenstellige Summen ausgibt. Demgegenüber aber stehen zigtausende Sammlerinnen und Sammler in aller Welt, die mit Neugier und Begeisterung in die Museen und Kunstvereine pilgern, regelmäßig Kunstwerke entdecken und mit diesen dann auch leben. Allerdings leben wir in einer Zeit der Simplifizierung und der Konfliktsucht, in der gerade auch die Medien eine fatale Rolle spielen. Das Überlegte, das Substanzielle, das Differenzierte, das Kluge eignet sich meist nicht für laute Headlines oder steile Thesen. Und wir alle – womöglich auch Wolfgang Ullrich – haben dann plötzlich den verdrehten Eindruck, nur noch von Wahnsinnigen umgeben zu sein.
J.Krb.: Interessiert Sie an der Kunst das Hintersinnige, das Verstörende, lieben Sie Kunst mit doppeltem Boden?
C.K.S.: Es war mir lange selbst nicht klar, aber inzwischen erkenne ich das verbindende Etwas zwischen all den Kunstwerken meiner Sammlung: Sie alle verweigern sich einer eindeutigen Interpretation. Sie alle fielen mit einer Vielzahl von Fragen in mein Leben ein und tragen die unterschiedlichsten inhaltlichen Ebenen und Perspektiven in sich. Ich scheine mich also immer in die Unauflösbarkeit zu verlieben…
J.Krb.: Der Sammler Wilhelm Schürmann betonte im artist-Interview, nur ängstliche Menschen brauchen Berater. Ich habe den Eindruck, dass heute mehr und mehr aufgrund von Hören und weniger aufgrund von Sehen gekauft wird. Flüstert Ihnen jemand etwas ins Ohr?
C.K.S.: Wenn mir jemals jemand etwas ins Ohr geflüstert hat, dann Wilhelm Schürmann, den ich als persönlichen Freund und Mentor betrachten darf. Allerdings vernahm ich da keine konkreten Tipps oder gar Namen, sondern vielmehr die Aufforderung, dass ich in Sachen Kunst mir selbst ganz und gar vertrauen darf und muss. Von Wilhelm habe ich also gelernt, richtig hinzuschauen und auch, im richtigen Moment wegzuhören – nämlich bei all dem üblichen Gequatsche über Marktchancen, Ankäufe, kommende Großausstellungen und ähnliches.
J.Krb.: Sie kaufen Kunst und verschaffen sich Eintritt in die Welt der Bohème, der Galerien und Museen. Allerdings entpuppt sich der Kunstbetrieb oftmals als Jahrmarkt von Eitelkeiten. Sofern Sie keine Kunst mehr kaufen, steht Ihnen dann diese Welt noch offen?
C.K.S.: Die Welt der Kunst steht jedem immer offen. Genau dafür haben wir großartige Museen und Institutionen, öffentlich zugängliche Privatsammlungen und auch eine Website wie Independent Collectors. Sie sprechen hier von der Welt der Eröffnungen und der Champagner-Empfänge. Wenngleich ich mich freue, den ein oder anderen Bekannten bei solchen Gelegenheiten wiederzusehen, sollten wir hier nicht den Bock zum Gärtner machen. Das eine ist die Kunst, das andere das Beiwerk. Sie fliegen ja hoffentlich auch nicht nur deshalb irgendwohin, um davor zwei Stunden in einer VIP-Lounge sitzen zu können.
J.Krb.: Mit der Reihe »Junge Sammlungen« hat das Bremer Museum Weserburg 2014 ein neues Ausstellungsformat geschaffen. Gezeigt werden Kunstwerke aus jungen, bislang noch nicht in dieser Form an die Öffentlichkeit getretenen Privatsammlungen. Den Auftakt machte die Hamburger Sammlung Dominic und Cordula Sohst-Brennenstuhl, gefolgt von der Sammlung von Kelterborn aus Frankfurt am Main und dem Berliner Sammler Ivo Wessel. Ihre Sammlung wird unter dem Titel »Junge Sammlungen 04. The Vague Space« präsentiert. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?
C.K.S.: Er bezeichnet für mich vor allem einen Zustand. Einen fantastisch begehrenswerten Zustand, in dem alles unbestimmt, mehrdeutig und dadurch auch ungewiss wird – ganz ohne Rauschmittel. Dieser »Vague Space« kann sich überall und immer auftun. Beispielsweise stehen wir in einem Strategieworkshop zusammen und spüren plötzlich alle das Gleiche – das Neue. Finden aber noch keine Worte dafür. Je mehr wir unsere diversen Vorprägungen und Vorbildungen zur Seite schieben können, je mehr wir uns einlassen auf ein Vorangehen ohne Agenda, auf Experimente, deren Ergebnis wir nicht kennen, auf eine inspirierend sprunghafte Non-Linearität und je mehr wir uns dabei verlassen auf unsere Intuition, desto tiefer geht es in diesen dunklen, magischen Wald hinein. Belohnt wird unser Mut dann meistens mit sogenannten »Synchronizitäten« – nach Psychologe C.G. Jung und Quantenphysiker Wolfgang Pauli »zeitlich korrelierende Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind, jedoch als miteinander verbunden, aufeinander bezogen wahrgenommen und gedeutet werden«. Oder einfacher ausgedrückt: Längst nicht alle Zufälle sind wirklich Zufälle. Ein Buch der beiden ist jetzt auch Teil der Ausstellung in der Weserburg.
J.Krb.: In der Ausstellung ist mir unter anderem in Erinnerung geblieben die zentral präsentierte Arbeit »Friendship of Nations – Polish Shi’ite Showbiz« von Slavs and Tatars. Ihre Lieblingsarbeit?
C.K.S.: Ganz bestimmt eine Arbeit, die mir aus vielerlei Gründen besonders am Herzen liegt. Es handelt sich dabei um insgesamt zehn Banner aus Stoff, die Geschichten der Revolution aus dem Iran und aus Polen zitieren. Man mag sich vielleicht fragen, was diese beiden so unterschiedlichen Länder denn geschichtlich miteinander zu tun haben. 1979 kam es im Iran zur sogenannten Islamischen Revolution, bei der Ajatollah Chomeini den Schah stürzte – viele betrachten diesen historischen Wendepunkt heute als die Wiederkehr des radikalen und politischen Islam. Aus historischer Perspektive fast zeitgleich, nämlich 1980, formierte sich in Polen die Solidarnoœæ-Bewegung, die wiederum als Anfang vom Ende des damaligen Ostblocks gilt. So gesehen spielten beide Länder also eine ganz entscheidende Rolle in der Entwicklung unserer Welt. Slavs and Tatars untersuchen genau solche Wechselbeziehungen zwischen den drei großen Narrativen des 20. Jahrhunderts: dem Kommunismus, dem Islam und dem Kapitalismus. Die Arbeit »Friendship of Nations« greift besondere Momente, Ideengebilde oder Slogans aus den polnischen und persischen Protestbewegungen auf und erzählt auf jedem einzelnen Stoff-Banner eine eigene Geschichte. Mir gefällt daran auch, dass die einzelnen »Teppiche« von verschiedenen Handwerkskünstlern im Iran und in Polen gefertigt wurden und damit in diesen Arbeiten auch in punkto Fertigung ganz unterschiedliche Traditionen und Fertigungstechniken zusammenfinden.