Artist Ausgabe Nr. 117

Portraits

David Moses | Erika Hock | Roman Signer | Stefanie Klingemann

Interview

Janneke de Vries

Page

Almut Linde

Edition

Erika Hock

Portrait

Installationsansicht, 2018, Neue Arbeiten, Kestner Gesellschaft, Hannover, Foto: Raimund Zakowski

Textauszug

Roman Signer
Hast Du je etwas so schön zusammenbrechen sehen?« Die Frage ließe sich auch im Angesicht vieler Aktionen und Werke des international angesehenen Schweizer Bildhauers Roman Signer stellen, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Vor allem, wenn er in seiner Kunst mit Sprengstoff arbeitet, wofür er bekannt geworden ist und was eine Art Signatur seiner Werke darstellt. Damit hat er die Medialität und die Ausdrucksweise der Skulptur in der Moderne um eine wesentliche Facette bereichert. Ohnehin hat sich die Skulptur in der Gegenwart wie kein anderes künstlerisches Medium verändert. Es gibt heute im Prinzip kaum ein Material, das nicht zum Stoff ihrer Werke werden könnte. Von der exklusiven Nutzung von Stein, Holz und Bronze hat sie sich schon lange emanzipiert. Nicht nur jede Art von Kunststoff ist inzwischen zum Material ihrer Kunst geworden, sondern auch andere, in früheren Zeiten nicht vorstellbare Stoffe wie das durch Joseph Beuys nobilitierte Filz und Fett bis hin zum Wasserdampf in den Werken von Robert Morris.

Im Obergeschoss, in der Bel Étage der Kestner Gesellschaft, finden sich überwiegend neue Werke des Künstlers, die er für das Kunstinstitut mit Blick auf dessen spezifische architektonische Situation als in situ Werke realisiert hat. Prominent platziert in der Mitte der zentralen Ausstellungshalle stößt der Besucher auf »Runder Raum« (2018) von Signer. Dessen trichterförmige Gestalt orientiert sich an den Kuppelfenstern dort. Was der Künstler noch prononciert, indem er das Innere seines Raums mit einem Fries sonnengelber Kreisschwünge ausgestattet hat. Mit Hilfe einer Prozedur, wie man sie sich komplizierter nicht vorstellen kann und welche ebenfalls die von Umständlichkeit geprägten, clownesken Paraden des Slapsticks in Erinnerung ruft. Seinen stilisierten Sonnenschein, der sich bei freundlichem Wetter auch in den hohen Fenstern des Instituts zeigt, hat Signer mittels einer an einem Fahrradrad montierten Spraydose produziert, wobei er das Rad auf einem Gleis an der Wand entlangführte. Gerahmt wird das Werk von zwei Installationen. Zum einem von einem roten schlanken Kajak, das auf zwei blauen Tonnen ruht, aus dem Jahr 2017. Das ebenso elegante wie einfache Werk – von einer Einfachheit, die schwer zu machen ist, was man nicht oft genug betonen kann – ist bestechend. Allein schon durch seinen spannungsvollen formalen und farblichen Gegensatz. Dann aber auch durch den semantischen Echo-Raum, den es öffnet. Imaginiert man das in einem prekären Gleichgewicht eingefrorene Werk in Bewegung, ist das Scheitern vorprogrammiert. Die »Sprengung« des Werks findet dabei gewissermaßen in der Vorstellung des Betrachters statt. Die zweite ältere Installation aus 2012 zeigt ein Fahrrad, das ebenfalls in Don Quijote-Manier auf seinem Gepäckträger eine abgerissene Kajakspitze transportiert. Wer, wohin, warum und wozu bleibt einmal mehr der Fantasie des Betrachters überlassen, der auch hier im Angesicht des Werks zu seinem eigenen Erzähler wird.

Das die Ausstellung beschließende Werk ist auf dem oberen Flur des Kunstinstituts zu sehen. Es stammt aus dem Jahr 2015. Ein in die Horizontale auf einen Mikrofonständer montierter Regenschirm, der sich in der Mitte zwischen zwei mannshohen Ventilatoren befindet. Bläst der eine Ventilator, öffnet sich der Schirm, bläst der andere, schließt er sich. Ein Spiel, das auch Kinder erfreut, und doch weit mehr als nur ein Kinderspiel: Der Schirm als Metonymie des Menschen und die Stürme der Ventilatoren als Kräfte, die an ihm reißen und zerren. Das symbolisiert ganz offensichtlich nicht bloß, wie da jemand sein Mäntelchen nach dem Wind richtet. Das geht tiefer und weiter. Ist dramatischer. Macht deutlich, wie sehr hier der Mensch Objekt, nicht Subjekt seines Tuns ist. Und um seine Autonomie kämpfen muss, um nicht in dem von Walter Benjamins Engel der Geschichte beschworenen Sturm der Ereignisse um ihn herum unterzugehen. Der Philosoph hatte diesen Engel in Paul Klees Bild »Angelus novus« ausgemacht, einen aus einer Gruppe von etwa fünfzig Engeln, die Klee zwischen 1915 und 1940 in heiterer Gelassenheit schuf. In ihnen siegt, wie von Lothar Lang beschrieben, der Witz über das Leid. Das passt auch sehr viel besser zum Werk von Roman Signer. Leid und Leiden, Zusammensturz und Zusammenstürzen sind zwar stets irgendwo und irgendwie da in seiner Kunst. Aber »schön«, wie Sorbas der Grieche schon im Angesicht der kollabierten Seilbahn konstatierte. Das ist weit mehr als nur reiner Formalismus, als allein Ästhetik. Das ist auch Ethik: eine Haltung dem Leben gegenüber, die das Stürzen, Scheitern und Sterben als notwendigen Teil der Condition humaine respektiert und akzeptiert. (Ausstellung: Roman Signer | Neue Arbeiten, Kestner Gesellschaft, Hannover, www.kestnergesellschaft.de)

Michael Stoeber