Essay

Trigger-Warnung in der Berliner Galerie KOW, Foto: Raimar Stange

Textauszug

»Trigger-Warnung? Nein Danke!«
Und vor allem, was nicht in den Kanon der »Wokeness« zu gehören scheint, wird zudem ausdrücklich gewarnt, mit deutlich sichtbaren »Trigger-Warnungen« nämlich, die etwa im Vorspann von Filmserien ebenso zu sehen sind wie vor Musikvideos, vor Vorträgen geäußert werden und immer mehr auch vor dem Eingang zu Kunstausstellungen gelesen werden müssen. Die Konsequenzen für die Kunst liegen auf der Hand: Die Trigger-Warnung macht aus bestimmten Kunstwerken etwas besonderes, genauer: stigmatisiert sie, denn vor Warnungen schreckt man unwillkürlich zurück. Vor allem aber nimmt die Trigger-Warnung einem Kunstwerk die Möglichkeit zu überraschen oder gar zu schockieren. Doch beides, aufrüttelnde Überraschung und schockierender Schreck sind spätestens seit der Moderne wichtige künstlerische Strategien nicht zuletzt für die politische Kunst, die selbstverständlich immer wieder »very strong language« einsetzen muss, um politische Realitäten überhaupt noch reflektieren zu können. Der letzten Documenta zum Beispiel wurde immer wieder vorgeworfen, sie hätte die dort gezeigten politisch umstrittenen Arbeiten nicht genügend kontextualisiert. Soll heißen: Die Werke müssen dem Publikum im vornherein genau erklärt und historisch eingeordnet werden, damit sie deren Aussage adäquat verstehen. Nicht nur wird das Publikum hier bevormundet, quasi als zu dumm für die Rezeption verkauft, das Publikum und seine Wahrnehmung wird so zudem wie ein Computerprogramm – wie gesagt: wir leben längst in einer Informationsgesellschaft – konfiguriert, formatiert also auf eben die interpretative »Einstellungsmöglichkeit«, die politisch am besten zu passen scheint. Eine, frei nach Umberto Eco, »offene Rezeption«, dessen Ergebnis eben nicht präfiguriert ist, sieht anders aus. Aber die Betrachter sollen ja nicht auf »dumme (unkorrekte) Gedanken kommen«.

Raimar Stange