vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 27

Portraits

Ulrich Wellmann | Wolfgang Wagner-Kutschker | Jochen Flinzer | Aernout Mik | Carl Andre | Biefer / Zgraggen

Edition

Eun Nim Ro

Portrait

Dave Gibson, Fineline, Tattoo, Deep River, CT, 1992, Baumwollfaden auf Stramin, 90x 90cm, Foto: Wolfgang Günzel

Textauszug

Jochen Flinzer
Wer stickt, spinnt nicht.
Der Durchschnittsmann distanziert sich vom Handarbeitskörbchen. Er ist gewöhnlich nicht einmal in der Lage, sich einen Knopf anzunähen. Nicht so Jochen Flinzer. Der hängt ständig an der Nadel. Flinzer benutzt sie wie andere den Zeichenstift. Oder den Meißel. Punktgenau, geradlinig, zielbewußt. Wie ein Zeichner oder Bildhauer macht er sich an seine künstlerische Arbeit. Allein das Werkzeug, das er ebenso souverän handhabt wie die Kollegen das ihre, ist höchst ungewöhnlich. Und gibt Anlaß zum Kopfschütteln. Zwar ist Flinzers Tätigkeit bemerkenswert. Aber die Kunstöffentlichkeit betrachtet sie ähnlich geringschätzig wie der gemeine maskuline Mensch, dem sie überaus unmännlich vorkommt. Und vorgestrig. Und exotisch. Jochen Flinzer stickt. Ein Spinner? Ganz und gar nicht....

...Währenddessen ist die Stickerei als solche für ihn genauso existentiell wie die transportierten Inhalte. Eine >>sehr ernsthafte<< Angelegenheit. Die Betrachter mögen die Dinge, die da in akribischer Handarbeit entstehen, im ersten Augenblick als dekorativ empfinden. Sollen sie. Für Flinzer sind seine Stickbilder, die er schwerpunktmäßig seit rund zehn Jahren ausführt, auch Parabeln. Dabei spielt ihre Rückseite eine große Rolle. Seine beidseitig rezipierbaren Werke sind Gleichnisse im Kontext eines Rangstreites, der geführt wird, seitdem es Kunst und Künstler gibt, und welcher periodisch aufflammt und verlöscht. Figuration und Abstraktion heißen die schwer versöhnlichen Seiten der immerzu gedrehten und gewendeten Medaille...

Dorothea Baer-Bogenschütz