vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 94
Portraits
Julia Schmid | Tue Greenfort | Kerstin Cmelka | Frank Stella | Kris MartinPortrait
Measurement of the Whale’s Skeleton, 1988, Mischtechnik auf Aluminium, 426 x 485 x 47 cm, SCHAUWERK Sindelfingen, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Textauszug
Frank StellaWie schreiben über einen Künstler, der schon tausendfach beschrieben wurde, der zu seiner Wolfsburger Retrospektive als »letzter lebender Heros der amerikanischen Malerei« gepriesen wird und der selbst als mehrfacher Ehrendoktor u.a. von Princeton und Jena in Harvard über Kunst doziert hat. Wie schreiben über jenen jetzt mehr als 75-jährigen, für den das Label »vom Minimalismus zum Maximalismus« erfunden wurde. Durch gleich zwei Retrospektiven im New Yorker MoMa ist seine Position hochgradig abgesichert, aber wie »amerikanisch« ist das und wo liegt die Aktualität von Frank Stella? Dass das gute Kunst ist, ist unbestritten, aber um was genau handelt es sich bei diesen neueren quietschbunten Materialverknäuelungen und unbaubaren Architekturen? Sind seine angeblich abstrakten und dennoch literarisch konnotierten Arbeiten den schweren Verrat am Minimalismus eigentlich wert? Und wenn Frank Stella sich schon von einem Großteil der heutigen Kunst, so Performance, Video und Photo, fast aggressiv abgrenzt, wenn ihm alle »rhetorischen« Künste zuwider sind, wie verhält es sich mit seinen Illustrationen zu Melvilles »Moby Dick«?
Der Eine ist der große abstrakte Maler, der schon mit 34 Jahren eine Retrospektive im Museum of Modern Art erhält. Zwischen 1958 und dieser kunsthistorischen »Heiligsprechung« 1970 entwickelt er nicht nur seine frühe, noch gestische Malerei zu den »Black Paintings«, jenen mit breitem Pinsel mechanisch aufgetragenen Lineaturen, er beginnt auch schon 1960, die Leinwand nach den Notwendigkeiten dieser Konzepte zu formen. Mit leerer Mitte, T- oder U- oder L-förmig nimmt der Malgrund immer ungewöhnlichere Formen an, bis Mitte der Sechziger die »Irregular Polygon Paintings« entstehen, Arbeiten, die Frank Stella bis heute für seine bedeutendsten hält.
Doch schon ab 1967 sieht die New Yorker Kunstkritik die reine Abstraktion verletzt. Denn in den äußerst erfolgreichen und beliebten »Protractor Series« zeigt sich nicht nur in der Farbigkeit ein Pop-Element, die Referenz auf real existierende Winkelmaße und keltische und islamische Formensprache weist mit ihrer – wenn auch nur ornamental ausgedrückten – Erzählung über das Bild als bloßes Bild hinaus.
Die rationale Abstraktion – als die Darstellung der grundlegenden Prinzipien des Bildes – ist zur emotionalen Abstraktion geworden, zur zeitgemäßen Darstellung von etwas schwer Darstellbarem, für das es gleichwohl eine lange Tradition hochdramatischer Bilderfindungen gibt. Immerhin würde Stellas Liebe zum Manierismus und dem Frühbarock, seine langjährige Beschäftigung mit der italienischen Kunst des 16. Jahrhunderts, so mit Carracci und Caravaggio, dazu passen. Und in einem Interview 2010 hat er zu seinen in den Raum gezeichneten Bildskulpturen ausdrücklich gesagt: »Ich glaube, das pure Gefühl auszudrücken«.
Frank Stellas Werk reicht von der exemplarischen Ausformulierung des Nachkriegsminimalismus, der in seiner existenziellen Reduktion durchaus auch utopische Elemente enthielt, zur neobarock opulenten Ornamentik, die die machtvollen Foyerhallen des globalen Turbokapitalismus ziert. Dennoch glaubt er an die soziale Komponente der Kunst, vergisst nicht das Erbe der russischen Konstruktivisten und entwirft auch Architekturen – nicht zuletzt angeregt durch Freunde wie die Architektur-Stars Richard Meier und Santiago Calatrava, mit dem er sogar 2011 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin eine Gemeinschaftsarbeit realisierte.
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