vergriffen

Portrait

William Pope.L, The Great White Way, 22 miles, 9 years, 1 street, 2001-ongoing, Courtesy of William Pope.L, Foto: Pruznick/Grey

Textauszug

»Kaboom! Comic in der Kunst«
Kaboom!« - die Bremer Weserburg widmet sich dem »Comic in der Kunst«. Die Präsentation zielt nicht darauf, eine Entwicklung des Wechselspiels von Cartoon und Kunst zu beschreiben. Dementsprechend gibt es keinen chronologisch geordneten Parcours. Vielmehr treten die 33 Positionen auf drei Etagen des Hauses verteilt in unterschiedlichsten Korrespondenzen auf, mal formal, mal inhaltlich verbunden, mal im Zusammenspiel, mal kontrastierend. Vom Tafelbild über den Film bis zur raumgreifenden Installation reicht die Auswahl. Dokumentiert Peter Blakes 1956 entstandenes Bild »Children Reading Comics« in Anlehnung an das Close-Up des Cartoons die Faszination und suggestive Kraft der bunten Heftwelten, schafft Allen Ruppersberg mittels Mickey-Mouse-Figuren einen vielteiligen monumentalen Bildgeschichten-Kosmos als Chiffre kapitalistischer Wirklichkeit. Ein Wettstreit zwischen Dagobert Duck und einem ähnlich gutbetuchten Widersacher spiegelt Geltungsdrang und Ringen um Geld und Macht in der realen Welt wider. Dabei nimmt der Auftritt der eitlen Enten in Gestalt von riesigen Holzaufstellern im Museumsraum auch den Kunstbetrieb aufs Korn.

Die Debatten um Hoch- und Trivialkultur werden in der Bremer Schau nur gestreift, das Thema ist historisch geworden. Dagegen beleuchtet die Ausstellung mit dem Schwerpunkt auf Arbeiten der vergangenen zwei Jahrzehnte die Doppelbödigkeit des Comics. Sie widmet sich dem Affirmativen und Subversiven, Heiteren und Dunklen des Genres, seinem politischen Gehalt und seiner Provokationskraft im Spiegel der Kunst. Ein breites Spektrum kritischer ästhetischer Umcodierungen von Comic-Klischees wird aufgefächert. Die Bildgeschichten sind in den
Bildwelten der Kulturindustrie und auch in der Kunst omnipräsent. Künstler nutzen die Vertrautheit und Niederschwelligkeit des verführerischen Fundus, bauen auf den Spaß am Wiedererkennen, nutzen das Repertoire für gesellschaftliche und politische Kommentare und vertrauen auf die Lust an der Entschlüsselung von Neudeutungen und Überschreibungen.

Eine Gegen-Comic-Welt aus Sicht der Schwarzen taucht in der Ausstellung mehrfach auf. Der Performance-Künstler Pope.L kehrt das heldische Profil von Superman um: Im bekannten Kostüm des Überfliegers robbt er über den Broadway, den er als »Great White Way« identifiziert. Der Mythos ist grotesk gebrochen: aus weiß wird schwarz, aus stark wird schwach, aus Fliegen Kriechen, Übermacht verwandelt sich in Erniedrigung und Unterwürfigkeit.

Comic funktioniert auch bestens als Medium der Reflexion von Kunst, vor allem wenn ernsthafte Auseinandersetzung und Spaß sich nicht ausschließen sollen. Ad Reinhardt produziert 1946 für die New Yorker Zeitung »PM« weiwöchentlich Comics unter der Überschrift »How to look at ...«, eine Ratgeberparodie für die Betrachtung moderner Kunst. Dabei veranschaulicht er dennoch präzise und anschaulich Phänomene zeitgenössischer Ästhetik und thematisiert das Verhältnis zwischen Betrachter und Werk. Ein Cartoon fungiert als Running Gag: Amüsierte Ausstellungsbesucher zeigen auf ein abstraktes Bild und fragen »Ha ha, what does this represent?« – worauf das erzürnte Bild, die abstrakten Linien zum strengen Blick geformt, die Gegenfrage in den Raum wirft: »What do you represent?«.

Rainer Bessling