Artist Ausgabe Nr. 106
Portraits
Oliver Ressler | Michael E. Smith | Christiane Gruber | Joan Mitchell | Timur Si-QinPortrait
O.T. (210614), 2014, Acrylfarbe, Aluminiumrohr, 294 x 344 cm, Weserburg | Museum für moderne Kunst, Bremen, 2014, Meisterschülerausstellung, Of The Universe, Foto: Rahel Pasztor
Textauszug
Christiane GruberIn der Weserburg Bremen bildeten ihre Farbbahnen im großzügig dimensionierten Gebäudeschacht eine geschlossene Wand aus leuchtendem Orangerot. Christiane Gruber bot in der Meisterschüler- Ausstellung »Of The Universe« 2014 den offensiven Hingucker. Im gleichen Jahr bespielte sie ein schmales Treppenhaus in der Bonner Galerie Clement & Schneider mit einer mehr als neun Meter langen Acrylarbeit aus zurückhaltendem Grün. Ein Jahr später nimmt die Bremer Künstlerin an der Ausstellung »Brücke im Dschungel« in der Berliner Kunsthalle am Hamburger Platz teil. Diesmal hängen die Acrylbahnen in einem großen lichtdurchfluteten Raum in leichter Schrägstellung und in kleinen Abständen zueinander. Es entsteht eine schwebende luftige Reihe aus zugleich weichem und weit ausstrahlendem Gelbocker zwischen Körperlichkeit, Objekthaftem und Architekturanmutung.
Gruber treibt nicht nur die Emanzipation der Farbe von ihrer Abbildfunktion weiter, nicht nur ihre Präsenz als reines Material, sondern auch die Dekonstruktion des klassischen Bildes. In der Städtischen Galerie Bremen und im Kunstverein Hannover lehnte sie Gevierte aus Holz oder Stahl in unterschiedlichen Formaten an die Wand und hängte eine rote, ockergelbe und eine petrolblaue Acrylhaut jeweils über die obere Waagerechte. Die Farbe zeigt sich hier gelöst von ihrem Träger und zugleich in offenem Bezug zum Rahmen. Durch das Klappen der Bahnen und die unterschiedliche Länge der leicht schräg fallenden Teile sind Vorder- und partiell Rückseite des Materials sichtbar, die klassische Ansichtsseite ist aufgegeben. Sind die Rahmen schon in den Raum gerückt, dehnt sich bei der petrolblauen und ockergelben Arbeit auch die Farbhaut über den Rahmen hinaus auf dem Boden weiter aus. Reduzierter, frischer und klassischer, lakonischer und zugleich augenfälliger lässt sich der Ausgriff der Farbe in den Raum und die Verwandlung des Bildes zum Objekt kaum darstellen.
Die Wahl der Farbe ist dabei der Schlusspunkt des Ausmessens und Erspürens des Raumes. Vor dem Gefühl kommen bei ihr objektivierbare Kategorien wie Grundriss, Höhe oder Lichtverhältnisse des Raumes zur Anwendung. Dann sind ihr benachbarte Exponate ebenso wichtig wie der Charakter der ausstellenden Institution. Von der Größe der Räume ist die Entscheidung für offensive oder defensive Farben abhängig. Gedanken über Symbol-Konnotationen kommen zum Schluss. Gruber weiß, dass sich das Farbempfinden davon letztlich nicht lösen lässt, weil die Wahrnehmung mit Erinnerungswerten kurz geschlossen ist. Doch ihr gelingt es, solche Assoziationen zurückzudrängen. Der Betrachter erkennt vor ihren Arbeiten, dass Farb-Erzählungen die Ausstrahlung der Werke stören würden.
Apropos Ausstrahlung. Das Atmosphärische im Raumbezug, dieser schwer greifbare und kaum messbare Bezirk, in dem sich Werk und Wahrnehmung treffen, in dem kleinste Partikel des sichtbaren Werkes die Netzhaut erreichen, die zu denken, zu fühlen, zu greifen gelernt hat - diesen schillernden Bereich setzt Christiane Gruber ganz undramatisch in Szene. Mit ihrer Verdichtung des Farbmaterials und damit Potenzierung des Kolorits setzt sie ganz auf das Visuelle und die reine Oberfläche. Jeder Inhalt, dem die Farbe dienen könnte, wird getilgt, die klassischen Medien der Malerei werden bis zur Unkenntlichkeit umgebaut, auf das Bild wird verwiesen, um sich davon verabschieden zu können. Die Künstlerin lässt das Auge auf eine strukturierte Oberfläche treffen, die es wie eine Nadel abtasten kann, zugleich hüllt sie unsere Sinne mit ihren farbigen Raumumspannungen ein und lässt ihre Farbobjekte auf Augenhöhe mit unserer körperlichen Präsenz korrespondieren.
Hinter diesen ausgesprochen sinnlichen Auftritten steckt das Angebot zu konzeptuellem Genuss und kognitiver Auseinandersetzung. Im Schlepptau trägt Christiane Gruber die Entwicklungsgeschichte der Malerei, die Emanzipation der Farbe, den Jahrhundertschritt des Bildes von der Wand in den Raum, die Befragung des Bildes und seine Mutation zum Werk. Doch dieses Gepäck erscheint bei ihr nie wie eine Last oder Bürde. Ihr Zugriff bleibt gegenwärtig. Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass sie nicht Theoreme und Studien illustriert, sondern in konsequenter Zuspitzung ihres Schaffens Reflexionen aus dem Material selbst erwachsen lässt, aus einem in Bewegung gesetzten Stoff, der offenkundig noch immer und mutmaßlich lange taugt für ästhetische Zugriffe mit Erkenntnisgewinn, wenn man ihn denn von störenden Zuschreibungen freiräumt.
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