vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 111

Portraits

Bethan Huws | Alexandra Bircken | Julian Öffler | Annette Kelm | Katja Aufleger

Interview

Christina Végh

Page

Arne Schmitt

Edition

Arne Schmitt

Portrait

On/Off, 2017, Mehrkanal-Videoinstallation, Detail, 4K-Video, Farbe, Ton, Maße variabel, © Katja Aufleger und STAMPA Galerie, Basel

Textauszug

Katja Aufleger
Ein komplett abgedunkelter Raum, in dem sich drei von der Decke hängende Screens aus schwarzer Gaze befinden. Von Zeit zu Zeit taucht auf jeweils einem dieser Screens ein eingeschalteter Leuchtkörper auf. Das kann eine Glühbirne sein, eine Neonröhre, ein blaues Licht, wie es zum Anlocken von Insekten benutzt wird, eine Wärmelampe oder irgendeine andere strombetriebene Lichtquelle. Sobald eine dieser Lampen auf dem Screen erscheint, ist ihr weiteres Schicksal besiegelt. Nach mal kürzerer, mal längerer Zeit wird jede Lampe von einer oder mehreren Kugeln aus einem Luftgewehr getroffen. Sie »sterben« die unterschiedlichsten Tode. Manche erlöschen im Nu oder schnurren noch für ein paar Sekunden, andere scheinen sich vehementer zu widersetzen und glühen noch eine Weile nach.Einige wenige gar gehen geradezu dramatisch kurzzeitig in Flammen und Rauch auf, ehe auch sie sich ihrem finalen Schicksal fügen müssen. Auch auf der unüberhörbaren Sound-Ebene spielen sich ganz unterschiedliche Szenarien ab, die von einem sanften »Plop« über schrilles Klirren bis hin zu gewehrsalvenartigen Exekutionsanmutungen reichen. In Katja Auflegers neuer Mehrkanal-Kanal-Videoarbeit »On/Off« (2017) gibt es keinen Anfang und kein Ende. Sobald auf einem der Screens eine Lampe ihren »Filmtod« gestorben ist, taucht in unregelmäßigen Abständen auf einem anderen Screen eine neue auf. Ein ewiger Kreislauf entspinnt sich. Der Betrachter kann in diese loopartige Projektion jederzeit ein- und wieder aussteigen. Gleichzeitig bietet die Arbeit eine Vielzahl möglicher Lesarten an. Es geht um Spannung und um das Halten von Spannung. Die Kamera verharrt sekundenlang auf den Leuchtkörpern, bis der Schuss fällt. Wie bei einer Hinrichtung.

Gezeigt wird die Arbeit »On/Off« in einer Einzelausstellung von Katja Aufleger mit dem Titel »Love Affair« in der Galerie Stampa in Basel (6. April bis 27. Mai 2017). Der Betrachter befindet sich in einem rund 70 Quadratmeter großen Ausstellungsraum. Das Raumerlebnis ist perfekt durchkalkuliert. Durch die Art der Projektion entsteht der Eindruck, als würden die Lampen im Raum schweben. Der Betrachter erlebt die sukzessive und kalkulierte Zerstörung der Lampenobjekte. Die Kamerabilder von den noch intakten Lichtobjekten sind von nahezu klassischer Schönheit. Geschwungene Linien, elegant gewendelte Glühfäden, an minimalistische Rasterstrukturen erinnernde Gehäuse für Leuchtstoffröhren. Auf dezidiert als Designobjekte erkennbare Lampen und auf jegliche weitere dekorative Ausschmückung wird jedoch konsequent verzichtet. Die statischen Aufnahmen erinnern dabei an Produktfotografien der Neuen Sachlichkeit. Nur dass in der Arbeit von Katja Aufleger das Unheimliche lauert. Es ist die Ambivalenz von Schönheit und Zerstörung, von Integrität und Auflösung, die ihre Arbeit bestimmt.

Eine ganz ähnliche Strategie verfolgt Katja Aufleger auch in ihrer Werkgruppe »Bang!« (2013/2016). Hier handelt es sich um sechs transparente Glasobjekte, die auf schmalen, weißen Sockeln stehend so präsentiert werden, dass sie sich ungefähr auf Augenhöhe des Betrachters befinden. Die ziemlich massiven, mundgeblasenen Glaskörper verfügen jeweils über zwei bis drei Kammern, in die feste oder flüssige Stoffe unterschiedlicher Farbigkeit eingefüllt sind. Die Einfüllstutzen sind mit schwarzen Gummistopfen verschlossen. Vertraut man den Angaben der Künstlerin, so handelt es sich dabei um Stoffe wie etwa Ethanol, Wasserstoffperoxid oder Salpetersäure, die bei einem potenziellen Aufeinandertreffen hochexplosiv wären. Das hier ausgestellte System ist also so lange stabil, wie niemand auf die Idee kommt, es durch menschliches Handeln zu aktivieren.

In ihrer Videoarbeit »What Goes Around, Comes Around« (2014) dagegen entwirft Katja Aufleger ein wesentlich versöhnlicheres, gleichzeitig aber schwer entschlüsselbares Szenario. In einem 7-minütigen Loop schaut der Betrachter einer orangefarbenen Kugel dabei zu, wie sie mit scheinbarer Leichtigkeit auf schrägen Ebenen nach oben rollt. Aufgenommen ist das Ganze in einer extrem kargen, menschenleeren und nur von Felsen, Geröll und verkümmerten Pflanzen charakterisierten Landschaft. Die Kamera bleibt statisch. Die Kugel erscheint zunächst rechts unten im Bild. Sobald sie den linken oberen Bildrand erreicht hat, bricht die Einstellung ab und wird unmittelbar durch eine neue ersetzt, die einen etwas anderen Landschaftsausschnitt zeigt. Katja Aufleger konfrontierte den Betrachter hier mit einer ganzen Reihe von Unwägbarkeiten. Rollt die Kugel tatsächlich von unten nach oben? Was treibt sie an? Passt der metallisch klingende Sound zur tatsächlichen Materialität der Kugel? Haben wir es hier wirklich mit schrägen Ebenen oder Gefällen zu tun, oder ist nur die Bildeinstellung manipuliert worden? Was hinzukommt, sind durchaus humorvolle, fast slapstickhafte Variationen und Überraschungsmomente. Mal scheint der Kugel vor Erreichen des linken Bildrandes die Kraft auszugehen (sie schafft es dann aber doch noch). Ein anderes Mal kommt sie mit viel größerer Geschwindigkeit als gewohnt ins Bild gerollt.

Nicole Büsing / Heiko Klaas