Artist Ausgabe Nr. 115
Portraits
Nicole Wermers | Peter Friedl | Claudia Piepenbrock | Guerrilla Girls | Christian FalsnaesPortrait
Nicole Wermers, Women Between Buildings, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2018, Foto: Fred Dott, Courtesy of the artist; Herald St, London; Jessica Silverman Gallery, San Francisco; Produzentengalerie Hamburg; Tanja Bonakdar Gallery, New York
Textauszug
Nicole WermersDiebstahldetektoren im Kaufhaus, öffentliche Fahrradständer, Babywickeltische, wie sie auf den Toiletten von Shopping-Malls oder Fastfood-Restaurants zu finden sind, Schmutzfängermatten, die man aus dem Eingangsbereich von großen Gebäuden kennt, oder aber Markisenstoffe, die sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich zum Einsatz kommen, um starkes Sonnenlicht oder unerwünschte Blicke abzuwehren. Dies sind nur einige Beispiele für uns allen vertraute Formen und Materialien, deren sich die Künstlerin Nicole Wermers bemächtigt, um sie durch subtile Arrangements und Eingriffe zu skulpturalen Kommentaren auf unsere bis ins kleinste Detail durchgestalteten Lebens- und Konsumwelten umzuformen. Dabei ist Nicole Wermers gleichermaßen an gesellschaftspolitischen, ökonomischen und psychologischen Fragestellungen interessiert. Zudem reflektiert sie kunst- und designhistorische Kontexte und die Entleerung modernistischer Formen durch deren Omnipräsenz im Alltag. Neben ihren überwiegend skulpturalen Arbeiten entstehen immer wieder auch ortsspezifische Installationen, Fotografien, Collagen und Editionen mit Objektcharakter.
Mit der Ausstellung »Women Between Buildings« präsentiert der Kunstverein in Hamburg nun das Werk der 1971 im westfälischen Emsdetten geborenen und seit fast zwanzig Jahren in London lebenden Künstlerin in einer umfassenden Einzelausstellung. Schon die Ausstellungsarchitektur wirft unterschwellig Fragen nach der Verhaltenssteuerung in öffentlich zugänglichen Räumen auf. Man kennt das Prinzip der determinierten Laufrichtung aus traditionellen Supermärkten beziehungsweise Discountern. Ist die Laufrichtung beim traditionellen Supermarkt meist entgegen dem Uhrzeigersinn ausgerichtet, so zwingen Discounter wie etwa Lidl ihre Kunden, fast immer im Uhrzeigersinn an ihren Warenauslagen vorbei zu laufen. Wohler und weniger gehetzt, so haben es Psychologen herausgefunden, fühlen wir uns, wenn wir uns linksdrehend, also entgegen dem Uhrzeigersinn bewegen dürfen.
Nicole Wermers schickt denjenigen, der mit dem ausliegenden Raumplan in der Hand durch ihre Hamburger Präsentation geht, zunächst für einen kurzen, exkursartigen Moment nach links, um ihn dann aber erneut »abzuholen«, und ihn, quasi »elektromagnetisch aufgeladen«, auf geradem Wege mitten ins Zentrum der Ausstellung zu lenken. Wer sich nämlich auf diesen kleinen Exkurs einlässt, der stößt zunächst auf die etwas ältere Arbeit »Untitled Forcefield (Spa)« aus dem Jahr 2008. Nicole Wermers bezieht sich hier auf herkömmliche, nicht gerade nach Designgesichtspunkten gestaltete Warensicherungssysteme, wie sie in den Eingangsbereichen von Kaufhäusern zu finden sind. Deren Grundprinzip überführt sie jedoch in eine wesentlich elegantere, skulptural ausdefinierte Form. Wermers’ an das Formenvokabular des Russischen Konstruktivismus erinnernde Skulptur besteht aus drei miteinander verschränkten, jeweils ungefähr zwei Meter hohen Edelstahlringen, deren äußerer Rand teilweise von flächigen Weichstahlsegmenten akzentuiert wird. Bereits an dieser Stelle sollte aber betont werden, dass es Nicole Wermers keineswegs darum geht, das modernistische Formenvokabular lustvoll zu zitieren, um dem bildungsbürgerlichen Connaisseur kleine Aha-Momente zu bescheren. Vielmehr ist es ihr wichtig, aufzuzeigen, wie sich einst avantgardistische Ideen durch ihre jahrzehntelange, utilitaristische Indienststellung in die Verwertungsmechanismen der Wirtschaftskreisläufe abgenutzt haben.
Mit dem 1928 entworfenen Cesca-Stuhl von Marcel Breuer, einer Stilikone der Bauhaus-Ära, hat sich die Londonerin, die 2015 für den renommierten Turner Prize nominiert war, anlässlich der damaligen Shortlist-Ausstellung in Glasgow auseinandergesetzt. Der berühmte Freischwinger wurde ursprünglich exklusiv von Prestigeherstellern wie Thonet oder Knoll produziert. Mittlerweile hat er den Massenmarkt erobert. Es sind zahlreiche mehr oder weniger gelungene Versionen in unterschiedlichen Preiskategorien zu finden. Nicole Wermers hat die Rückenlehnen verschiedener Originale und Kopien dieses Designklassikers und Damen-Pelzjacken untrennbar miteinander vernäht. Ähnlich wie bei der Arbeit »The Long Hello« untersucht sie auch hier wieder ein im sozialen Miteinander häufig anzutreffendes, ritualisiertes Verhaltensmuster. Wer, etwa in einem Restaurant oder Café, einen Stuhl durch das Ablegen eines Kleidungsstücks markiert, nimmt diesen temporär in Besitz und hält auf diese Weise andere von dessen Benutzung ab. Doch hier kommt noch eine zweite Lesart hinzu: Die maskuline Ausstrahlung des aufgrund seiner Materialität und seines berühmten Urhebers männlich konnotierten Sitzmöbels wird durch die Inbesitznahme mittels eines eindeutig weiblichen Luxus-Kleidungsstücks zumindest ein Stück weit relativiert. Wobei sich aufgrund der Tatsache, dass Pelze mittlerweile ein schlechtes Image haben und eher einem traditionellen, konservativ geprägten Weltbild entsprechen, wieder neue Ambivalenzen einschleichen. Zudem stellt die Künstlerin hier einmal mehr die Frage nach Original und Fälschung.
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