Artist Ausgabe Nr. 115

Portraits

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Martin Vosswinkel

Polemik

Hajo Schiff

Polemik

Textauszug

»Über den modischen Unfug, unverstandene Kunst zu verteufeln.«
Da zeigt der Maler Balthus 1938 den Blick auf den Slip einer unter 16-jährigen: Hinfort mit dem Bild »Therese Dreaming« aus dem Metropolitan Museum. Da schaut in Manchester der Jüngling Hylas auf sieben nackte Nymphen: Weg mit dem sexistischen Scheiß – egal, dass dieser Kitsch nicht einmal im prüden Viktorianischen England störte (Dass dies nach einiger Zeit selbst zu einer Kunstaktion erklärt wurde, ändert wenig an der Symptomatik solcher Argumente). Kritisch auch die jungen Mädchen bei Gauguin und den Expressionisten, der latente Faschismus der Futuristen oder Picassos Umgang mit dem anderen Geschlecht. Und malt die weiße Malerin Dana Schutz das legendäre schwarze Lynchopfer Emmett Till im offenen Sarg: Was für eine Anmaßung sagen da Teile der schwarzen Community mit Anspruch auf Repräsentationsexklusivität, Ausstellung sofort schließen, besser noch, das Bild vernichten! Es ist doch bekannt, dass nur Kapitäne Schiffsbilder malen dürfen. Die vielleicht vergiftetste Verteidigung war, sicher dürfe Dana Schutz so etwas malen, aber das Abhängen sei vielleicht gut, da es ein schlechtes Bild sei. Soweit zum Stand der Kunstkritik. Nett auch so seltsame Übergriffigkeiten im Museum, wenn ein Anhänger des Islam verlangt, eine Jesusfigur sollte gefälligst bekleidet sein. Dabei lässt das Museum doch nur die Selbstsakralisierung seiner grundsätzlich säkularen Objekte zu. Noch nie gab es so viele Bilder, doch kaum einer kann sie lesen.

Ein besonders absurdes Theater war der Kampf gegen das konkrete Gedicht von Eugen Gomringer an einer Berliner Fassade. Selbst in einem Teil des Medienechos wurde das 1951 auf Spanisch formulierte Bewundern von Blumen und Frauen als sexistisch interpretiert. Nun kann per Definition so wenig wie ein schwarzes Quadrat ein konkretes Gedicht irgendwelche Ismen vertreten, die Worte sind reines Material. Ohne Grammatik, ohne Verben und Adjektive wirken die autonomen Substantive polysemantisch nur im Kopf des Rezipienten, also in diesem Fall der aktuell leider nur noch unter Pseudonym auftretenden beleidigten Studentin einer auch noch pädagogischen Hochschule. Die Bedeutung der Kunst liegt nicht, Zitat Bazon Brock, »wie der Keks in der Schachtel«. Und der Kauf angesagter Kekse ist noch keine kulturelle Leistung. Hilfe zum Verständnis der allgemeinen, asozialen Kurzschlüssigkeit liefert der bestsellerverdächtige Kultursoziologe Andreas Reckwitz mit dem hier nicht astrophysikalisch gemeinten Begriff der »Gesellschaft der Singularitäten«. In der Tat ist der heutige Alltag von einer alles übertrumpfenden Egomanie gezeichnet. Selbst gewöhnliche Mietwagen heißen »My Car«, schon länger gibt es eine Eventagentur mit dem schönen Namen »Me, Myself and I«. Der Kreuzfahrtriese ist »Mein Schiff« – Hoffentlich gibt das keinen Ärger mit dem Finanzamt. Sneakers, einst Turnschuhe genannt, gibt es in personalisierter Sonderedition für mehrere tausend Euro und alles und jeder schreit sein angebliches Alleinstellungsmerkmal in die Welt. Die Identifikation mit dem Universellen ist jenseits des Religiösen nicht mehr gefragt. Dabei haben schon Millionen andere das schiefe Selfi mit dem schiefen Turm gepostet...

Es geht nicht darum, die Errungenschaften »politisch korrekter« Bemühungen von Minderheiten zu diskreditieren. Es braucht neben dem Hammer auch akademisch entwickeltes Feinwerkzeug. Nur sollte man damit nicht hämmern. Den Normen ist stets auch die Beachtung des Speziellen abzuringen. Es sollte allerdings nicht die logische Tatsache verloren gehen, dass das Spezielle nie die Norm werden kann. Insofern ist eine »Gesellschaft der Singularitäten« unmöglich und ein gigantischer, auch weit in die Kunst hineinreichender Marketing-Betrug. Ähnlich ist übrigens auch das Problem mit der populären Rezeption des Beuysschen Satzes »Jeder Mensch ein Künstler«. Es gibt ja tatsächlich einige, die das nicht im übertragen Sinne verstehen, sondern als einklagbares Anrecht darauf, im Kunstbetrieb mitzumischen.

Hat die Kunst denn gar keine ethische Verantwortung? Oh doch, aber sie steht immer auf der Seite der Freiheit. Das schützt sogar das Grundgesetz. Kunst aber ist ein Spiegel, sie ist nur zum geringsten Teil, was objektiv der Fall ist, sondern vor allem, was man daraus macht. Direkte Verantwortung haben allein die Menschen. Und das regelt dann die Straßenverkehrsordnung. Ist doch ganz einfach, oder?

Hajo Schiff