Portrait

Firelei Báez, for Marie-Louise Coidavid, exiled, keeper of order, Anacaona, 2018, Öl auf Leinwand, Installationsansicht, 10. Berlin Biennale, Akademie der Künste (Hanseatenweg), Berlin, Courtesy Firelei Báez; Kavi Gupta Gallery, Chicago, Foto: Timo Ohler

Textauszug

Berlin Biennale 2018: »Durchaus ordentliche Kulturarbeit«
Schon der diesjährige Biennale-Titel »We Don’t Need Another Hero« versucht alle großen Gesten zu vermeiden, fordert keine neuen Positionen ein, pocht nicht auf die Kraft der Anti-Haltung und will schon gar keinen Minderheitenbonus. Um jedweder Diskriminierung vorzubeugen, werden keine Altersangaben der insgesamt nur 46 Künstlerinnen und Künstler gemacht, sie werden hierzulande unüblich nach den Vornamen gelistet und es gibt keine Biographien und Länderzuordnungen – übrigens im auffälligen Gegensatz zum Overhead der Kuratoren und Katalogautoren. Aber es bleibt auch so erkennbar, dass in diesem internationalen Kunstkonzert außereuropäische Herkünfte und weibliche Künstler dominieren. Was hier also das Besondere ist, soll als ganz normal wahrgenommen werden. Ausdrücklich wollen die südafrikanische Kuratorin Gabriele Ngcobo und ihre vier Mitkuratoren diese zehnte Biennale auch als Frage nach zukünftigen Ausstellungsmodellen verstehen. Allerdings sind solche kleinen, überkorrekt egalitären Veränderungen angesichts möglicher Erwartungen an ein internationales Team überwiegend außereuropäischer Herkunft relativ gering.

Biennalen stehen immer unter besonderem Druck, ihr Konzept zu erklären. Diese Biennale möchte das nicht. Ihre Utopie ist die Freiheit von Zuschreibungen und Erwartungen. Sie fordert auch um den Preis der Irrelevanz die Relativität der subjektiven Lebensvarianten. Und sie kokettiert oft mit der Verweigerung. Doch sie kultiviert ein nicht vorschnell abschließendes Nein, sondern ein korsettsprengendes, öffnendes Nein. Aber wie selbstverständlich wird dennoch nicht auf Erläuterung verzichtet. In den Interpretationen von Saaltexten, Kurzführer und Katalog kommt stets die wertende Bedeutungsansage vor der Werkbeschreibung. Das ist mit ein Indiz dafür, dass es hier wieder einmal weniger um eine Ausstellung von in sich ruhender Kunst geht, sondern wesentlich um Sichtbarmachung und Präsentation, um Analyse und Belehrung, kurz um Kultur im allgemeinen. Und während die Völkerkunde-Museen derzeit große Schwierigkeiten mit ihrer Selbstdefinition und ihrem Programm haben, wird hier weitgehend künstlerisch verpackte Völkerkunde geliefert: Von der Selbstdarstellung afrodeutscher Frauen im Film von Natasha A. Kelly zu alten Zaubergesängen und einer von Minia Biabiany wiederbelebten vergessenen Technik, in Guadeloupe Fischreusen zu bauen; von Thierry Oussous Fake-Archäologie beim alten Königshof von Dahomey in Allada (Benin), die die durch die Kunstverlagerung nach Europa entstandene Lücke thematisiert, zu Basir Mahmoods quälend zeitgedehnten Momenten aus Pakistan.

Was bedeutet nun die 10. Ausgabe dieser Biennale noch für eine Stadt wie Berlin? Anders als bei vielen früheren Ausgaben sind spezielle Berlin-Themen rar, ein so fulminant gelungener Ortsbezug wie bei der Manifesta in Palermo fehlt völlig. Und auch die Sichtbarkeit der in grau-rosa Tarnfarbenoutfit schwelgenden Biennale ist stark zurückgenommen. Mit den konventionellen Berliner Ausstellungsorten Akademie und KW, dem Off-Ort »Zentrum für Kunst und Urbanistik« im zu gentrifizierenden Industriegebiet nahe des Westhafens in Wedding und dem einen kleinen Pavillon neben der Volksbühne vermeidet es die Berlin Biennale geradezu, in der Stadt besonders aufzufallen. Zumal es in der Hauptstadt durchaus mehrere Ausstellungen mit dem Anspruch auf internationalen Blick und universelle Kultur unter Einschluss aller Regionen und Völker gibt. So ist »Hello World«, die »Revision einer Sammlung« der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof auch ein kleines Weltmuseum mit Aspekten beispielsweise der indischen, javanischen und japanischen Moderne. Auch im Haus der Kulturen der Welt ging es mit der »Neolithischen Kindheit« um die kulturgeschichtlichen Wechselwirkungen von Europa und der übrigen Welt in den 1920er und 1930er Jahren, insbesondere unter den Bedingungen des Kolonialismus.

Man täusche sich nicht: Auch der intelligent relativierende Blick kommt nicht umhin, Identitäten zu konstruieren, um überhaupt unterscheiden und sichtbar machen zu können. Es hat etwas von der banalen Egalität des Internets: Ohne speziellen Filter und Standpunkt ist alles bloß nichts. Oder sollte diese Müdigkeit mit dem Rezensenten zu tun haben? Es bleibt ja immer möglich, sich vergnüglich auf einzelne Werke einzulassen und den theoretischen Überbau eher auszublenden. Aber beispielsweise die House-Musik in der Installation von Tony Cokes nur zu hören, ohne dazu die kritischen Texte zur schwarzen Kultur zu lesen, oder sich im Volksbühne-Pavillon nur über das bei der Kombucha-Herstellung zu gewinnende lederartige Material zu wundern, ohne den Verweis auf medizinische Versuche an schwarzen Frauen in Puerto Rico zu beachten, entspricht eben auch nicht dem Anspruch dieser Biennale.

Hajo Schiff