Artist Ausgabe Nr. 116
Portraits
Tina Reinecke | Marcia Hafif | Theaster Gates | Astrid KleinInterview
Alexander Koch & Nikolaus OberhuberPolemik
Sabine Maria SchmidtEssay
Raimar StangeEdition
Achim RiethmannPortrait
Der damit verbundenen Verstrickung…, 1980, Collage, beschriftetes Tape, Foto auf Karton, Courtesy Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg © Astrid Klein
Textauszug
Astrid KleinFrauen – Die Collagen von Astrid Klein operieren als mixtum compositum von gefundenen Texten und Bildern. Dabei entwickeln sie im besten Fall einen semantischen und emotionalen Echo-Raum, der in der Tradition der Aufklärung steht und damit wie von selbst auch politische Züge trägt. Wie das funktioniert, kann man jetzt sehr gut in einer großen Retrospektive des Werks von Klein in Hamburg-Harburg studieren. Dort hat Harald Falckenberg der Künstlerin die Tore zu seiner Sammlung geöffnet und ihr die Möglichkeit gegeben, auf großzügigen 4000 Quadratmetern als ihre eigene Kuratorin etwa 200 ihrer Arbeiten zu präsentieren. Klein zeigt, ohne chronologisch vorzugehen, in thematischen Blöcken buchstäblich alle Facetten ihres Werkes von den 1970er Jahren bis zur Gegenwart.
Geschichte – Das Auftauchen von Farbe ist eher die Ausnahme in den Text- und Fotocollagen von Astrid Klein. Ihre Signatur ist der Gegensatz von Schwarz und Weiß sowie die Wirkkraft vieler intermediärer Grautöne. Kleins Entscheidung dafür ist nicht geringzuschätzen. Denn Schwarz und Weiß sind die Farben des Geistes. Sie funktionieren wie These und Antithese bei Georg F. W. Hegel und treiben den Gang der Gedanken voran. In ihrer Dichotomie werden sie zur Folie füreinander, vor der man besser erkennen kann, wofür sie stehen und was sie repräsentieren. Kein Wunder, dass man Schwarzweißfotografien für objektiver, wahrer und authentischer hält als Farbaufnahmen, obwohl sich die Welt nicht schwarzweiß, sondern farbig zeigt. Dass es Klein darum geht, die Betrachter ihrer Werke zum Denken und nicht zum Träumen zu bringen, dürften bereits die immer wieder – bis heute – neu in ihre Bilder einziehenden Texte deutlich gemacht haben. In den 1980er Jahren fertigt sie großformatige schwarzweiße Fotoarbeiten, in denen die Sprache weitgehend hinter das Bild zurücktritt, oft gar nicht mehr da ist. Es sind die Werke, die sie berühmt gemacht haben, die man identisch mit Ihrer Kunst denkt und mit denen sie 1987 zur documenta eingeladen wird. Wo die Sprache fehlt, sind es die Reibungen unterschiedlicher, in einem Werk miteinander verbundener Bilder, die ähnlich wie sprachliche Metaphern Erkenntnisgewinne stiften. Dabei arbeitet Astrid Klein mit extremen Vergrößerungen, Rasterungen, Mehrfachbelichtungen, Ätzungen und Schnitten, die ihre Arbeiten deutlich verfremden und nicht selten mit einer geheimnisvollen Aura umgeben, die sich gleichwohl unmissverständlich dechiffrieren lässt.
Scheitern – Aber das ist nicht wirklich tragisch bei einem so reichen Werk aus 45 Jahren. Picasso hat einmal von sich gesagt: »Man kann nicht jeden Tag zaubern.« Und er war nun wirklich ein Zauberer. Bei Astrid Klein verdichtet sich bei der Revision ihres Werkes der Eindruck, dass sie wahrhaft zaubern kann, wenn es sich um das Medium der Fotocollage handelt, doch als Malerin, Bildhauerin oder Installationskünstlerin überzeugt sie nicht. Selbst wenn sie der Kritiker Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung im zweifelhaften Rückgriff auf William Golding als »Herrin der Fliegen« rühmt. Indes ist ihm zuzustimmen, wenn er die Künstlerin für ihre »Haltung« schätzt, die in ihrer Kunst »durch die Verbindung von Text und Bild zur konkreten Ansprache wird«. Und damit wären wir im Prinzip wieder bei ihren Fotoarbeiten. Sie sind auch dann überzeugend, wenn Astrid Klein in ihnen das Scheitern thematisiert, um nicht zu sagen preist. Ganz im Sinne des von ihr verehrten und geliebten Samuel Beckett, der über das Scheitern schreibt: »Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.« Beckett taucht mehrfach als Referenz im Werk der Künstlerin auf. Unter anderem in »Untitled (Bataille ... oder eine andere Erfahrung)« aus 1988/93 mit dem überwältigenden Satz: »Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.» Mit ihm fängt Becketts erster Roman »Murphy« an. Und was so ironisch beginnt, kann nur in einem homerischen Gelächter über die Sinnlosigkeit der Schöpfung enden. Astrid Klein hat zuerst 1980, wohl unter dem Eindruck des Deutschen Herbstes, das Scheitern am Beispiel anonym bleibender »Aussteiger, Versager und Verlierer« thematisiert. Für Ihre Serie »Failure«, die das Scheitern mehrsprachig im Titel trägt, hat sie sich dagegen lauter Prominente ausgesucht. In fünf dreiteiligen Fotoarbeiten aus dem Jahr 1988 setzt sie dem deutschen Schriftsteller Ernst Toller, dem italienischen Astronomen Giordano Bruno, dem französischen Revolutionär Anacharsis Cloots, dem russischen Marxisten Leo Trotzki und dem englischen Dichter Lord Byron ein Denkmal. Schon Astrid Kleins Akt einer künstlerischen Nobilitierung widerspricht der Vorstellung eines letztendlichen Scheiterns dieser Menschen. Obwohl sie selbst, die sie alle viel zu früh starben, wohl diese Vorstellung von sich hatten. Ähnlich wie der Dichter John Keats, der bereits zu Lebzeiten für seinen Grabstein die Zeilen vorgesehen hatte: »Hier ruht einer, dessen Name aufs Wasser geschrieben war«. Während er in Wirklichkeit bis heute höchst vital im Gedächtnis der Nachwelt weiterlebt. (Deichtorhallen Hamburg: Astrid Klein, »Transcendental homeless centralnervous«)
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