Artist Ausgabe Nr. 116
Portraits
Tina Reinecke | Marcia Hafif | Theaster Gates | Astrid KleinInterview
Alexander Koch & Nikolaus OberhuberPolemik
Sabine Maria SchmidtEssay
Raimar StangeEdition
Achim RiethmannEssay
Textauszug
»Wie komplex die Kunst zu sein hat«Warum aber beharrt fast die gesamte »real-exisitierende«, »westliche« Kunstwelt, so jüngst mal wieder Catherine David in ihrem Vortrag auf dem Symposium »kunst/politik« im Neuen Berliner Kunstverein, darauf, dass Kunst komplex zu sein habe? Wohl auch deshalb, weil gerade im Kontext von politischer Kunst diese Komplexität dazu genutzt wird, sich einerseits vor all zu einfachen, monokausalen, ja »populistischen« Erklärungen zu schützen, andererseits aber auch um, angeblich im Namen der »Freiheit der Kunst«, sich davor zu drücken, eindeutig Stellung zu beziehen. Klare politische Urteile – »Alle reden vom Klima – wir ruinieren es« (Klaus Staeck) – aber als plump und populistisch abzuklassifizieren, greift zu kurz, verkennt nämlich, dass es sehr wohl politische Situationen gibt, und dieses derzeit leider immer öfter, die ganz offensichtlich und mit dezidierter Anklage zu kritisieren sind. Beispiele gefällig? Bitte schön: Flüchtlingskrise, Klimakrise, Rechtspopulismus und Neoliberalismus. Angesichts dieser Probleme dann unter dem Vorwand der Komplexität nicht eindeutig Haltung zu beziehen, zeugt von einem politischen Verständnis, das der Kulturkritiker Florian Malzacher einmal treffend als »homöopathisches Verständnis« von Politik und Kultur beschrieben hat, das letztlich entscheidungs- und handlungsunfähig macht.
Ein weiterer Grund warum die Komplexität so unabdingbar für die Kunst zu sein scheint, ist ihre enge Beziehung zu intellektueller Rationalität und Intelligenz. Letztere sind, vor allem in der ach so aufgeklärten (westlichen) Moderne, neben handwerklicher Vollendung und emotionaler Kraft immer noch Grundpfeiler jedweder (bürgerlichen) Kultur. Dass aber die Alleinstellung der intellektuellen Rationalität auf Kosten anderer Erkenntnisweisen eine eurozentristische Strategie ist, dieses ist längst fester Bestandteil u. a. des postkolonialen Diskurses, wurde zudem auch in dem Denken eines Paul Feyerabend formuliert, man lese z. B. sein bereits 1976 erschienenes Buch »Erkenntnis für freie Menschen«. Doch weite Teile »unserer« (etablierten) Kunstwelt wehren sich unbeirrt aber nachhaltig irrend gegen diese Einsichten. Die vehemente Kritik an der documenta 10, die die dort ausgestellten Werke, die nicht dem modernistischem Diktum gerecht wurden, kurzerhand als »Propaganda« oder »Folklore« abtaten, spricht da Bände. So wurde etwa der Bilderzyklus des 1981 »verschwundenen« Tschibumba Kanda Matulu »101 Works«, 1973 - 74, die sich im, wenn man so will, »naiven« Stil mit der brutalen (Kolonial)Geschichte seiner Heimat Kongo beschäftigt, von vielen Kritikern belächelt. Ein schlicht gemaltes Porträt von Lumumba, dem ersten Premierminister des unabhängigen Kongo war da zu sehen sowie unzählige militärische Szenen – zu »platt« nennt man solchen Realismus dann vorschnell und arrogant, ja als »zweitklassig« (FAZ) wird Kunst dieser Art diffamiert.