Portrait

Installationsansicht Kunsthalle Bern, 2019, Foto: Gunnar Meier

Textauszug

Amelie von Wulffen
Ideenreich, hellwach, witzig und am Puls der Zeit – das ist die eine Seite der Amelie von Wulffen. Aber es gibt immer auch noch diese andere, dunkle Seite. Das Abgründige, Unheil- und Qualvolle drängt aus dem Unterbewussten an die Oberfläche und verlangt sein Recht. Es liefert die melancholische Grundierung der Sehnsucht nach einer heilen Welt. Beides gehört zusammen.

Amelie von Wulffen hat ein feines Gespür für innerbildliche Spannungen. Die Bildaussagen sind häufig widersprüchlich und verschlüsselt, die Situation wirkt undurchschaubar und nicht selten unheimlich. Es entsteht ein suggestiver Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Durch die collageartige Technik der Verbindung verschiedener Perspektiven und Genres wachsen buchstäblich vielschichtige Räume aus der Fläche und darüber hinaus, bilden ein über Betten, Schränke, Wände und Decken weiter wucherndes Eigenleben. Dabei integriert von Wulffen immer wieder abgenutzte, zum Klischee verkommene Prototypen der kulturellen Codes, um sie malerisch zu brechen. Zu ihrem Potpourri gehören die unberührte Landschaft, Genreszenen in heimatverbundener Tracht, Ikonen aus Popkultur, Literatur, Philosophie und Kunst ebenso wie Katzen, Kinder oder Reklametafeln für Eis am Stiel.

Im Gegensatz zu früheren großen Einzelausstellungen wie im Aspen Art Museum (2012) oder in der Pinakothek der Moderne in München (2015) verzichtet von Wulffen in ihrer gerade zu Ende gegangenen Ausstellung in der Kunsthalle Bern allerdings auf aufwendige installative Inszenierungen und die Bemalung von Wänden, Decken oder Säulen. Die Hängung in den klassizistischen Räumen könnte fast als klassische Reihung der Bilder an den Wänden über zwei Etagen betrachtet werden, wenn sie nicht immer wieder durch ungewöhnliche Requisiten unterbrochen oder ergänzt würden: Bemalte Bauernschränke, Sofas und Schulstühle bedrängen mit den Phantasmagorien ihrer Malerei die bürgerliche wohlanständige Ordnung. Sie wirken wie eine »Möblierung des psychischen Innenraums« und tragen zu der ganz eigenen, dichten Atmosphäre der Ausstellung maßgeblich bei.

Die Werke stehen sowohl inhaltlich als auch formal in enger Beziehung zueinander. Immer wieder tauchen Selbstbildnisse der Künstlerin aus allen Lebensphasen auf. Das Autobiographische ist mal mehr, mal weniger deutlich identifizierbar oder auch bis zur Unkenntlichkeit verbrämt, doch die mitunter vagen Erscheinungen verstärken damit nur ihre Suggestionskraft. Sie lenken den Blick auf eine Sozialisation in der BRD der 1960er und 1970er Jahre. Die vier bemalten Schulstühle nebst Beistelltisch und Bodenvase stellen das Schülerdasein auf Augenhöhe mit dem bürgerlichen Selbstverständnis, eine Geste, mit der sich diese Generation sowohl mit ihrer Elterngeneration solidarisiert als auch gerade von ihr unterscheidet. Einen mächtigen Schatten aus dem katholisch-bürgerlichem Hintergrund wirft das monumentale, aus einem Beichtstuhl, einem Klavier und einem Bett zusammenmontierte Werk »The unjudged Bimp?« (2016) auf das Geschehen. Intimität, Sexualität und Privatheit verwandeln sich unter dem Einfluss von Kirche und Bildungsanspruch in einen nach außen abgegrenzten, die Bewegungsfreiheit beschneidenden klaustrophobischen Raum.

In einem der beiden bemalten Bauernschränke verstecken sich Grabsteine aus Terrakotta. Es ist die Nachbildung eines jüdischen Friedhofs in Berlin Weißensee, der hier halb unter Verschluss gehalten wird. Bemalt ist der Schrank auf den ersten Blick in schnörkeliger Bauernmalerei. Doch schaut man genauer hin, verwandeln sich die Blumenranken wie unter psychedelischer Trance zu entfesselt bewegten Figuren. Sie erinnern an die Figürchen aus zusammengeklebten Muscheln oder aus Keramik, die auf der Marmorplatte eines obskuren, mitten im Eingangsbereich der Kunsthalle Bern aufragenden Kastens versammelt sind. Hier begegnet uns auch eine modellierte Version des vermenschlichten Granny-Smith-Apfels aus den sogenannten Gemüsebildern, unglaublich witzigen Comics in Aquarelltechnik auf Papier, von denen ebenfalls eine ganze Reihe in der Ausstellung gezeigt wird. Äpfel, Bananen und Birnen, oder auch Tomaten und Kartoffeln agieren miteinander in der Art, wie es Menschen zu tun pflegen, und wirken dabei so anrührend wie komisch. Es können aber auch zwei Rotweingläser sein, die zusammen vor dem Fernseher abhängen, oder ein ängstliches Dolomiti-Eis fährt auf einem Ski den Hang herunter, im Hintergrund ragen die charakteristischen Gipfel der Dolomiten empor…

Sabine Elsa Müller