Interview

Stefanie Kleefeld, Künstlerische Leiterin, Halle für Kunst e.V., Lüneburg

Textauszug

Stefanie Kleefeld
J.Krb.: Wie ist Ihr Verständnis von künstlerischer und kuratorischer Praxis, von Theorie- und Kunstproduktion?

S.K.: Zunächst einmal verstehe ich alle drei Praxisformen als Prozess, als Annäherung an eine Fragestellung. Bedeutet das Zeigen und Produzieren von Kunst wie auch das Schreiben und Denken doch immer etwas in eine Form zu bringen, das strukturell offen ist. Dennoch, künstlerisch zu arbeiten ist etwas anderes als kuratorisch zu arbeiten und kuratorisch zu arbeiten etwas anderes als theoretisch. In meine Art des Ausstellungs-Machens fließen jedoch zweifellos auch Momente theoretischer wie künstlerischer Praxis mit ein. Dies gilt aber sicher nicht für alle Kurator*innen und hat vermutlich damit zu tun, dass ich eine Zeit lang Kunst studiert habe. Das ist meinen Ausstellungen, wie ich glaube, auch anzumerken, ebenso, dass sie, sagen wir mal, von einem gewissen theoretischen Interesse und einem Spaß am Denken durchdrungen sind.

J.Krb.: Schummelhardware, Klimawandel, #MeToo, Feinstaub, Altersarmut, Migration, Rechtspopulismus beschreiben den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund werden gegenüber der Kunst Erwartungen formuliert, Ver- und Gebote aufgestellt, Kunst habe kritische Kommentare zur Gegenwart abzugeben, dem Fortschritt zu dienen und Lösungen für soziale und politische Probleme anzubieten. Kann die Kunst diesen hehren Ansprüchen gerecht werden?

S.K.: Kunst kann natürlich keine Lösungen für soziale und politische Probleme liefern. Wie sollte das gehen? Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Zeitgenössische Kunst ist ein hochkomplexes und ausdifferenziertes Gebilde, und ich denke, dass interessante Kunst vor allem ambivalent ist. Sie ist nicht nur das eine oder das andere, sondern funktioniert doch sehr viel subtiler und mit sehr viel mehr Zwischentönen. Kunst bietet bzw. ermöglicht aber natürlich auch etwas. Ansonsten hätte sie ja keine Bedeutung. Sie kann Denkanstöße liefern, Erfahrung und Wissen vermitteln, aber auch Intensitäten und Begehren erzeugen. Ein Gemisch aus all dem macht in meinen Augen interessante Kunst aus.

J.Krb.: Nicht erst seit der documenta 14 ist die Frage nach dem Politischen in der Kunst ein Dauerbrenner. Sie betonen, sofern Kunst politisch radikal sein will, ist sie keine Kunst mehr und vereinfacht die Komplexität ästhetischer Erfahrungen. Trennen Sie strikt zwischen Kunst, Politik und Propaganda, lehnen Sie künstlerische Praktiken ab,
die bruchlos an Diskurse andocken?

S.K.: Ja, wenn es so polar und schwarzweiß gemeint ist, dass Kunst messbar und benennbar politisch wirken soll, dann trenne ich zwischen Kunst und Politik. Ich meine, kein Mensch erwartet von Mode oder Musik oder anderen kulturellen Ausdrucksformen, dass sie unmittelbar politisch wirken müssten. Dass sie das dann doch auf ihre je eigene Weise tun, ist unbestritten. Halbwegs interessante Kunst kann nämlich gar nicht anders als Gesellschaft widerzuspiegeln, von ihr informiert zu sein und sich zu ihr in Beziehung zu setzen. Kunst entsteht und steht ja nicht außerhalb ihrer Zeit. Die These, dass ich künstlerische Praktiken ablehne, die bruchlos an Diskurse andocken, bezieht sich wiederum auf ein ganz anderes Phänomen zeitgenössischer Kunst. Hier geht es mir eher um den sogenannten »Referenzialismus«. Referenzschlachten, die ich bevormundend und ziemlich uninteressant finde. Für mich hat das eher mit Fleiß als mit Kunst zu tun.

J.Krb.: Ist Ihr Jahresprogramm eine Aneinanderreihung voneinander unabhängiger Projekte oder sind die jeweiligen Ausstellungen und Themen miteinander verzahnt, werden Fragestellungen von Ausstellung zu Ausstellung fortgeschrieben?

S.K.: Mein Jahresprogramm hat kein übergeordnetes Thema, wie das ja manche Kurator*innen machen. Ich könnte mir nicht vorstellen, ein Thema zu setzen und darunter auch Einzelausstellungen zu subsumieren, denn meines Erachtens bringt das die Gefahr mit sich, dass die Ausstellungen der Künstler*innen schon im Vorfeld auf eine bestimmte Perspektive festgezurrt werden. Aufgrund der Choreografie, von der ich vorhin gesprochen habe und mit der die Ausstellungen dann doch miteinander verbunden sind, ist das Programm aber keineswegs eine beliebige Aneinanderreihung irgendwelcher Projekte. Wenn mich eine Thematik interessiert, fokussiere ich diese in thematischen Ausstellungen. Hier trägt mich dann eine Fragestellung zur nächsten, schreibt sich eine Ausstellung in der folgenden fort. Das ist wie ein sich permanent kreisendes Weiterbewegen. Was aber nicht von vornherein angelegt ist, sondern sich aus daran anschließenden Überlegungen und sich neu eröffnenden Fragen ergibt.

J.Krb.: Ihre Ausstellungen sollen ein Sprechen und Nachdenken über Kunst und ihre gesellschaftlichen Kontexte und Bedingungen ermöglichen. Wie bestimmen Sie das Verhältnis von Sehen und Vorstellung, von sinnlicher Evidenz und geistiger Reflektierbarkeit?

S.K.: »Sprechen und Nachdenken ermöglichen« heißt erst einmal, dass die Ausstellungen keine Antworten liefern sollen und wollen. Denn ansonsten wäre ja schon alles klar, es gäbe nichts mehr, worüber nachgedacht und womit sich auseinandergesetzt werden müsste, und gesprochen werden bräuchte im Grunde auch nicht mehr. Sinnliches und intellektuelles Erleben und Sich-Erschließen von Kunst ist in meinen Augen wechselseitig aufeinander bezogen. Es bedingt sich, konterkariert sich und befeuert sich gegenseitig. Und in diesem nicht still zu stellendem Wechselspiel eröffnen sich immer neue Erfahrungs- und Erkenntnisräume von Kunst.

J.Krb.: Ihre dreiteilige Ausstellungsreihe (»Authentizität. Das Authentisch Unauthentische«, »Gebärden und Ausdruck«, »Fantasie«) ist der Versuch, Begriffe zu finden für Aspekte, die an künstlerischen Arbeiten interessant sind. Ist diese Reihe paradigmatisch für Ihr Verständnis kuratorischer Praxis?

S.K.: Ja, das ist richtig, die Reihe kann als exemplarisch für meine kuratorische Arbeit gelten. Zum einen zeigt sie, welche Art von Fragen mich interessieren und zum anderen, wie ich arbeite. Es ist ein Prozess, eine Form der Annäherung, ein dafür und dagegen. Ich würde es als eine Art des Denkens bezeichnen, des Denkens im Raum. Es geht mir dabei jedoch nicht um das Setzen von Statements und ebensowenig um das Illustrieren von Thesen. Wie auch die Themen nicht bruchlos in den Ausstellungen aufgehen sollen. So war etwa bei der »Ausdrucks«-Ausstellung oberste Priorität, keine gestische Malerei zu zeigen, denn ich wollte auf gar keinen Fall ein klischeehaftes Verständnis von Ausdruck bedienen. Wie auch die gezeigten Arbeiten ihre Eigenständigkeit bewahren und für sich stehen sollten. Sichtbar wird all dies auch in den Texten, die die Ausstellungen begleiten und die ich gar nicht so sehr als Pressetexte verstehe, sondern als kleine thematische Essays. Sie kreisen um die Begriffe, nähern sich diesen von verschiedenen Seiten und sind ein Angebot, in ein Nachdenken über etwas einzusteigen. Auch möchte ich den Raum mit jeder Ausstellung neu »erfinden«. Es soll ein Ganzes ergeben, das als Raumgefüge funktioniert und sich nicht in einer reinen Addition von Arbeiten erschöpft. Das hat auch damit zu tun, dass die Halle für Kunst nur einen Ausstellungsraum hat. Es gibt keine Abfolge von Räumen, alles ist unmittelbar sichtbar und die Karten liegen sofort auf dem Tisch. Die Spannung muss also im Raum selbst hergestellt werden. Für die »Authentizitäts«-Ausstellung beispielsweise hat Henning Bohl vor die Originalfenster unterschiedlich große gebrauchte Fenster gesetzt und so das Raumerleben und die Lichtverhältnisse verändert wie auch mit den entstandenen Räumen zwischen den Fenstern Präsentationsflächen für Arbeiten geschaffen. Bei der »Ausdrucks«-Ausstellung hingegen wurde von picnic_bay eine zeltartige Decke aus violett gebatiktem Stoff in den Raum gezogen und so eine Art Bühne erzeugt, auf bzw. unter der die anderen Arbeiten quasi »aufgeführt« wurden bzw. sich entsprechend dem Thema der Ausstellung ausgedrückt haben. Ich würde das als installative Herangehensweise an das Ausstellungsmachen beschreiben.

Joachim Kreibohm