vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 79

Portraits

Marcel Prüfert | Nikola Ukic | Michael Conrads | FORT | Sigmar Polke

Interview

Florian Waldvogel

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Hannes Malte Mahler

Künstlerbeilage

Yukako Ando

Portrait

Kandinsdingsda, (Wir Kleinbürger), 1976, Gouache, Goldbronze, Lack- und Acrylfarben auf Papier auf Leinwand, 276 x 295 cm, Privatbesitz, Hamburg, © Sigmar Polke, Foto: Peter Schälchli, (Hamburger Kunsthalle - Galerie der Gegenwart, 13.3. bis 28.6.2009)

Textauszug

Sigmar Polke
Bei Polke ist, was ihn als Künstler bis heute charakterisiert, schon in den Werken der sechziger Jahre ausgeprägt. Seine kritische Haltung der Kunst wie der Gesellschaft gegenüber, die Neugier auf die Erforschung des ihm Unbekannten, die Lust am Experiment. In welch wechselnden und heterogenen Formen sein Werk im Laufe der letzten Jahrzehnte sich auch immer geäußert hat, stets wird es in seinen formalästhetischen und erkenntnistheoretischen Interessen von diesen Eigenschaften des Künstlers geleitet und bestimmt. Sie grundieren seine Rolle als Provokateur und Parodist künstlerischer Strategien in den sechziger ebenso wie als Magier und Alchimist in den achtziger Jahren und bis heute. So wie seine Lust am künstlerischen Experiment im Frühwerk fröhlich unterschiedliche Kategorien von high und low miteinander verwirbelt und vermischt, beispielhaft sei hierfür auf der materialen Ebene noch die Verwendung von vorgefundenem Dekorationsstoff als Bildgrund genannt, so probiert er in späteren Jahren immer andere Chemikalien und Farbmischungen aus, um zu neuen Bildern zu gelangen. Eine Tätigkeit, die ihm den in ehrender Absicht beigegebenen Namen des Alchimisten einbrachte. Nicht wenig hat er das Attribut selbst forciert durch seine Bildserie zu »Hermes Trismegistos« (1995), den dreimal großen Hermes, den Urvater aller Alchemie. Mit dem Alchemisten teilt Polke nicht nur die Lust am Experiment, sondern auch die Praxis der Dingzerlegung. Der Alchemist zielt auf die Transformation niederer Metalle wie Kupfer, Zinn, Blei und Eisen in höhere wie Silber und Gold. Es geht ihm um die Verwandlung der Materia prima, eines nach der Aristotelischen Entelechie formlosen Stoffs, in eine Materia secunda, einen geformten Stoff, gemäß dem Prinzip des »Solve et coagula« (Löse und binde). Schon die alchemistische Terminologie muss für einen Künstler wie Polke, der Gestaltung und Umgestaltung zum Motto seines künstlerischen Schaffens gemacht hat, von unwiderstehlichem Reiz sein.

Michael Stoeber