vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 79
Portraits
Marcel Prüfert | Nikola Ukic | Michael Conrads | FORT | Sigmar PolkeInterview
Florian WaldvogelPage
Hannes Malte MahlerEssay
Thomas WulffenKünstlerbeilage
Yukako AndoEdition
Tobias RehbergerInterview
Florian Waldvogel, Foto: Fred Dott
Textauszug
Florian WaldvogelJ.K.: Das klassische Operationsfeld der Kunstvereine hat sich ausgedünnt, sie haben ihre exklusive Rolle in der Vermittlung zeitgenössischer Kunst längst verloren. Wie definieren Sie Rolle und Aufgabe der Kunstvereine, sehnen Sie sich nach der alten Rollenverteilung?
F.W.: Nein. Wir müssen neue Modelle entwickeln, die den Veränderungen der Gegenwartskunst, aber auch der gewandelten Funktion von Ausstellungen Rechnung tragen. Wir haben die Aufgabe, die Ideen der modernen und zeitgenössischen Kunst zu interpretieren und zu vermitteln. In seiner institutionellen Form ist der Kunstverein Medium und Werkzeug zur Vermittlung und Übersetzung der bildenden Kunst und ein Scharnier zwischen historischen und zeitgenössischen Perspektiven. Idealerweise ist er ein Komplex miteinander verbundener Funktionen: Ausstellungsraum, Bildungszentrum, Archiv, Bibliothek, Forschungsinstitut, Suchmaschine, Diskussionsforum, Club, Podcastsender, Produktionsort, Stammtisch und Kino. Er ist Ausgangspunkt für Diskussionen, die von der Kunst ausgehend, einen Beitrag zur politischen, sozialen und ästhetischen Interpretation unserer gesellschaftlichen Situation leisten können. Mischformen künstlerischer, kuratorischer und forschender Prozesse werden gesucht, Arbeitsabläufe und Präsentationen mit thematisch oder strategisch verwandten Projekten verknüpft. D. h. wir werden relevante zeitgenössische Positionen und Projekte vorstellen, die sich nicht zwangsläufig mit meinem Geschmack decken müssen.
J.K.: Der eine Kunstverein vermittelt die Aura des White Cube, der andere Off-Atmosphäre. Mal gibt man sich locker und trinkt Bier, mal wird in kleinen Zirkeln ein 86er Bordeaux dekantiert. Einige Kunstvereine haben eine »Theorieecke«, um den Ansprüchen einer zeitgenössischen Kunstrezeption zu entsprechen, andere lassen von einem DJ Musik auflegen. Immer wieder ist der Ruf nach neuen Präsentations- und Vermittlungsformen zu hören. Mal tritt die Vermittlung unerträglich populistisch auf, mal werden Sachverhalte unnötigerweise verkompliziert. Oftmals bleibt alles beim Alten nach dem Motto neuer Wein in alten Schläuchen. Sie wollen den Kunstverein zur Stadt öffnen und Schwellenängste abbauen. Lobenswert - Was ist geplant?
F.W.: Die Vermittlungsarbeit spielt eine fundamentale Rolle und ist oberste Dienstleistung beim Bildungsauftrag des Kunstvereins. Ausstellungsbegleitende Vorträge, Seminare, Workshops und kostenlose Führungen beziehen sich auf die ästhetischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen, unter denen die Projekte realisiert, vermittelt und rezipiert werden. Das Vermittlungsprogramm richtet sich an BürgerInnen aller Altersstufen der Stadt und der Region. Die Angebote sollen dazu beitragen, ein besseres Verständnis kultureller Produktion und Theorie zu gewährleisten. Nicht nur die Qualität der Bildungsstandards und die innovative Vermittlung von Wissen spielt hier eine Rolle, sondern auch der »fehlerfreundliche Umgang mit Nichtwissen«. Die Offenheit und Flexibilität von Kulturinstitutionen ist in diesem Kontext gefragt - Offenheit auch im Sinne einer Unterstützung alternativer und neuer Infrastrukturen zur Vermittlung von Kunst und Kultur wie unter anderem unser allwöchentlicher Stammtisch am Mittwoch. Viermal im Jahr koche ich bei mir zu Hause bei dem fünf Mitglieder eingeladen sind und viermal im Jahr können mich Mitglieder bei einer Dienstreise begleiten.