vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 74

Portraits

André Cadere | Frank Gerritz | Elina Brotherus | Sven Drühl | Antje Schiffers

Portrait

Oppenberg, 2007, aus dem österreichischen Teil von »Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben«, 2007, Foto: Thomas Sprenger

Textauszug

Antje Schiffers
Im Grunde versteht sich ihre Arbeit in einer langen literarischen Tradition, mehr noch als im Kontext der bildenden Kunst. Das Moment der Erzählung bestimmt ihr künstlerisches Verfahren: Klassisches Reisetagebuch und Robinsade, Anekdote und Aphorismus liegen Antje Schiffers gleichermaßen. Als »Doing fiction«, tätige Literatur, hat man ihre grenzüberschreitende Feldforschung bereits charakterisiert, bei der sie als distanzierte Beobachterin und emotional Beteiligte, Dokumentaristin und Schriftstellerin zugleich fungiert. Und als Ethnographin. Ihr beruflicher Werdegang erinnert an den französischen Ethnographen Claude Lévi-Strauss, der von sich behauptete, er sei keineswegs Anthropologe geworden, weil es ihn interessierte, sondern nur, um nicht Philosoph zu werden. Lévi-Strauss postuliert mit seiner »Theorie des Austauschs«, dass die sich vermischenden Wanderungen von Menschen und Waren die gesellschaftliche Identität definieren. Wie dieser setzt auch Schiffers bei ihren Projekten auf florierende Tauschgeschäfte. Darin ist sie ganz.

Als Korrespondentin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig reiste sie 2003 nach Bulgarien, Mazedonien, Rumänien, Moldawien, nach Weißrussland und in die baltischen Staaten. Gegenstände, welche die Mitarbeiter der Galerie für typisch deutsch hielten, hatte sie im Gepäck und tauschte sie unterwegs gegen Dinge, die das jeweils bereiste Land repräsentieren sollten. Aufs Heiterste dokumentiert ihr Katalog »Unsere Frau in Minsk« nationale Selbstdarstellung und Fremdwahr- nehmung mit Abbildungen von Leipziger Braunkohlebriketts, bulgarischen Klapper- latschen, moldawischem Honig und Kirsch- kompott. Die einjährige Aktion, Schiffers spricht von »Performance«, gibt sich aber vor allem in den leidenschaftlichen Vorträgen der »Botschafterin« als subjektive Interpretation kultureller Eigenarten zu erkennen. Dabei sorgt dieser Modus für einen Erkenntnisgewinn, der mit empirischen Methoden wohl kaum so anschaulich realisiert werden könnte.

Kristina Tieke