Artist Ausgabe Nr. 74

Interview

Textauszug

Janneke de Vries
J.K.: Gern wird betont, man betreibe eine »kritische« und »politische« kuratorische Praxis. Schon der alte Marx hat vor solchen Zirkel- schlüssen gewarnt. Mit diesen methodologischen Adjektiven wird bereits etwas behauptet, was erst noch einzulösen ist. Wie halten Sie es mit diesen Adjektiven?

J.dV.: Solche Einteilungen interessieren mich überhaupt nicht. Das klingt mir schnell sehr selbstgefällig. Niemand will im zeitgenössischen Bereich Ausstellungen machen, die unreflektiert sind, im traditionellen Sinn das Schöne bedienen und dem Besucher nur mal eben die Seele streicheln. Eine gewisse Nachhaltigkeit wollen wir doch alle. Das muss für mich aber nicht gleich mit Labeln versehen werden wie »kritisch« oder »politisch«. Ich möchte gute Ausstellungen machen. So einfach und gleichzeitig so schwer ist das! Und ich werde den Weg, auf dem ich dorthin gelange, doch nicht schon vorher allzu sehr festlegen und mich damit selbst einschränken.

J.K.: Wie bestimmen Sie das Verhältnis von Kunst- und Theorieproduktion?

J.dV.: Ich vertraue auf die visuelle Kraft der Kunst. Der extremen Präsenz theoretischer Diskurse in der heutigen kuratorischen Praxis stehe ich eher skeptisch gegenüber. Nicht, weil ich eine theoretische Auseinandersetzung mit visuellen Phänomenen für falsch halte. Aber die Theorie sollte ein Mittel zur besseren Erfassung künstlerischer Ansätze sein, sich also gleichsam »in den Dienst« der Kunst stellen. Dagegen aber scheint es in heutigen Ausstellungen oft die Tendenz zu geben, Kunst zur Illustrierung theoretischer Modelle heranzuziehen und sie somit der Theorie unterzuordnen. Ein solches Vorgehen aber unterschätzt die visuelle Kraft, die Kunst entwickeln kann und sollte. Meine kuratorische Arbeit stellt die Erfassung der Inhalte der Kunst über ihre visuelle Präsenz in den Vordergrund - und wenn theoretische Denkmodelle helfen können, diese zu verdeutlichen, nutze ich sie gern.

Joachim Kreibohm