Portrait

Installationsansicht »Auge und Welt«, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2014, Courtesy Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf

Textauszug

Tim Berresheim
Der nüchterne Ausstellungsraum des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf macht es den Künstlern nicht eben leicht. Innerhalb der langgestreckten Raumflucht lassen sich nur schwer Beziehungen zwischen den Werken herstellen. Tim Berresheim (geb. 1975) hat den Raum im Griff. Er nutzt genau diese unterkühlt und distanziert wirkende Atmosphäre und richtet hier eine aus der Wirklichkeit extrahierte digitale Landschaft ein. Auf dem Fond eines über sämtliche Wände wie eine Tapete gezogenen Rasters wechseln große gerahmte Tableaus mit einzelnen, wie zufällig in den Raum gewehten Bildschnipseln und Piktogrammen. Dazu gehören figurativ sich zusammenballende Formationen aus Steinen, Kalender- oder Cannabisblättern, die sich im Raum mäandernd an anderer Stelle in wilde Strudel auflösen.

Auge und Welt« lautet der provokante Titel dieser Ausstellung, setzt er doch die subjektive Perspektive der eigenen Wahrnehmung einer welcher Form auch immer vermittelten Welt gegenüber, als ob sich diese beiden Bereiche tatsächlich voneinander trennen ließen. Berresheim scheint auf diese Dualität abzuzielen, wenn er seine digital geformten und deformierten, übernatürlich scharf ausbelichteten und hochaufgelösten
Bilder mit handwerklich oder wie man heute gerne sagt, »händisch« erstellten Ausdrucksformen verbindet. Auf diesem verfeinerten und auf höchstem technischen Standard operierenden Niveau entpuppt sich eine solche Synthese als explosive Mischung. Nicht nur die Anteile an Formen von Malerei und Zeichnung, die sich aus Körpermalerei, Graffiti, Comic und Werbegrafik ableiten lassen, auch die warme Holzfarbe der Bühnenarchitektur bis hin zu den Vitrinen mit ihren betont »handmade« gestalteten Schaustücken aus der Platten- und Merchandising-Produktpalette des hauseigenen Labels »Studios New America« sorgen für ein krudes Gegengewicht zur digitalen Glätte auf die Spitze getriebener Computerästhetik.

So breit die motivische und kompositorische Vielfalt in dieser weitläufigen Ausstellung angelegt sein mag – als Resumée einer zehnjährigen Auseinandersetzung mit der Frage, wie Malerei im Zuge ihrer Mediatisierung durch Digitalität, Computing und Netzkultur heute aussehen kann, ist »Auge und Welt« tatsächlich das Ergebnis eines höchst bewussten analytischen Entwicklungsprozesses. Motive der Ent- und Beschleunigung, des Unterwegs-Seins, der Heimatlosigkeit oder Entwurzelung wechseln mit banalen Dingen des täglichen Lebens wie Käse, Wurst, Eier; daneben tauchen Buchstaben auf oder ein ratloser Halbsatz wie »How to«. Die Blätter und Stauden der Cannabispflanze gehören als Hinweis auf die irrationale Struktur dieser bunten Welt zu einem der am häufigsten wiederkehrenden Elemente. Aber dazwischen finden sich immer wieder emotionale, wenn auch am Computer generierte Kommentare zur Malerei: In der Reihe der »Katarakte« wird Farbe in explodierenden Kaskaden versprüht, und unter dem Titel »Vier Augen sehen mehr als zwei« lösen sich glitzernde Partikel als mysteriöse malerische Farbwolken aus der Dunkelheit des Hintergrunds. Tim Berresheim setzt die Computertechnik ein wie die Alten Meister die Ölmalerei: Ihre Bildsprache entwickelt sich nicht allein aus deren hochartifizieller Kunstfertigkeit, sondern aus dem Spannungsfeld zwischen zeitgemäßer Technik und der Befragung der eigenen Wirklichkeit.

Sabine Elsa Müller