Essay

Textauszug

»Jenseits der Party«
Was bedeutet Qualität in der zeitgenössischen Kunst – gibt es so etwas wie Kriterien, einen Konsens und Maßstäbe zur Wertbildung? Spiegeln Marktpreise nachhaltig Qualität wider, erleben wir künstlerische Anerkennung jenseits der großen Party? Ist die Aura der Kunst in die überfüllten Auktionssäle übergegangen, dem Raunen und Staunen der Rekordpreise verpflichtet? Walter Benjamins auratische Kunsterfahrung, die er aus Ritual und Kult ableitete und als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ beschrieb, war der reproduktionsträchtigen Kunsterfahrung des 20. Jahrhunderts verloren gegangen. Die Aura, die Reliquien und alte Kunst feierlich umgab, konnte mit Werken der modernen und zeitgenössischen Kunst lange Zeit nicht in Einklang gebracht werden. Nun scheint sie bei Christie’s und Sotheby’s wieder eingekehrt.

geleiteter Verpflichtungen, unabhängig von marktwirtschaftlichen Erwägungen? Spätestens seit den frühen Avantgarden des 20. Jahrhunderts ist die Autonomie der modernen Kunst fragwürdig geworden. Immer wieder richtete sich neue Kunst gegen etablierte Kunst oder propagierte teilweise mit utopischen Zielen die unmittelbare Auflösung in Lebenspraxis. Seit der Pop Art der 1960er Jahre und den Strömungen der sogenannten Postmoderne gilt die Autonomie der Kunst als restlos überwunden. Popkultur und das Primat des totalen Konsums führten zu neuen Verbindlichkeiten. Die Kunst der Gegenwart erkennen wir nun zunehmend in einem Umfeld selbst gewählter Abhängigkeiten und im Verzicht auf jedes fragwürdige Gegenüber. Man richtet sich nicht mehr gegen etwas, gegen etablierte Kunst oder gegen die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse. Man bringt sich ein. Der Aufbau gut gepflegter Netzwerke ersetzt das ein oder andere Mal die Arbeit am Inhalt. Mit der Teilnahme an den großen Partys fördern die eingeladenen Mitspieler gegenseitig ihre Anerkennung. So legitimieren sie ganz nebenbei auch den nächsten Ankauf. Sammeln als große Session – mit großem Respekt vor Kollegen sowie Konkurrenten und mit Megafreude am Feiern.

Wozu bedürfen die vielen Insider-Gespräche, Kommentare und Konzepte noch der Kunst? Sehr einfach und klar zu beantworten: Hier ist eine Mimesis am Werk, die mehr oder weniger konkrete Abbildung sozialer, innerbetrieblicher und gesellschaftspolitischer Verhältnisse. Aber wer reflektiert hier wen und geschieht dies auf eine besondere, kunstspezifische Weise? Spiegeln die Partys die Kunst oder die Kunstwerke die sie bedingenden Betriebsstrukturen? Bekommt nicht jede Gesellschaft diejenige Kunst, die sie verdient? Wir scheinen das fest zu glauben und brauchen uns deshalb über permanent wechselnde Zuschreibungen und strenge Gästelisten nicht zu wundern. Am besten vermeiden wir fortan jede Rechtfertigung und gehen zur nächsten Party, solange wir eingeladen werden.

Roland Schappert