Portrait

Tokamak Asdex Upgrade Periphery, Max Planck IPP, Garching 2009, Inkjet Print, 109,3 x 85,8 cm, © Thomas Struth

Textauszug

Thomas Struth
Die Frage, die sich bei der Betrachtung des Gesamtwerks stellt, ist die, in welchem Zusammenhang die frühen Fotografien des Künstlers mit seinen jüngsten Bildern stehen? Und ob es bei allen Unterschieden in Form und Inhalt zwischen ihnen eine Kohärenz gibt? Und wenn das so ist, worin sie besteht? Schauen wir auf die »Unbewussten Orte«. Mit streng zentralperspektivischem Blick erfasst der junge Struth in seinen schwarzweißen Aufnahmen Straßenfluchten in Düsseldorf, New York und anderen Städten. Diese Perspektive wird in allen Bildern durchgehalten, unabhängig vom einzelnen Motiv. Hier deutet sich ein visuelles Strukturprinzip an, eine Form der Wahrnehmung, wie sie auch typisch ist für die Porträts von August Sander oder die Werkserien der Bechers, für ihre Förderanlagen, Zechenarchitekturen, Kühltürme und Fachwerkhäuser. Wobei bemerkenswert ist, dass Struth bereits während seines Studiums der Malerei bei Richter begonnen hat, in dieser Weise zu fotografieren und die Bilder der Bechers, wie er versichert, erst später kennen lernt. Das serielle Prinzip der Fotografien forciert hier wie dort den Vergleich der Bilder untereinander und will weniger das spektakuläre Einzelbild als eine bestimmte Bildidee realisieren. Die weist weit über das einzelne Bild hinaus und setzt zugleich so etwas wie eine bestimmte Welt- und Wirklichkeitsvorstellung ins Werk. Sie ist rational grundiert und lehnt jeden Irrationalismus ab. Sie verlässt sich auf einen kritischen Blick und aufgeklärten Verstand und zeugt von einer prinzipiellen Beherrschbarkeit der Welt. Was heißt, dass auch noch dort, wo Struth im Prinzip dystopische Bilder zeigt wie die Aufnahme »Crosby Street« (1978), entstanden während eines Studienaufenthalts in New York, am Horizont implizit die Hoffnung aufleuchtet, dass die Dinge nicht so bleiben müssen, wie sie sind. Nicht nur, weil in den heruntergekommenen Straßen, welche die Fotografie zeigt, im Vordergrund ein neuer Chevrolet steht. Das ist eher anekdotisch. Sondern weil der zentralperspektivische Zugriff des Bildes die Welt strukturiert und nach Prinzipien von Symmetrie und Proportion gliedert und weil sich darin eine Hoffnung auf Harmonie manifestiert. Darauf, dass sich die Dinge zum Besseren wenden lassen. Ethik und Ästhetik gehen in diesen Aufnahmen ein Bündnis ein, das wichtiger für das Werk des Künstlers, eben auch das zukünftige, nicht sein könnte.

Mit derselben Achtsamkeit beginnt Thomas Struth Mitte der 1980er Jahre, Familienangehörige, Bekannte und Freunde zu fotografieren. Den Anstoß zu diesen Porträts gibt ein Projekt seines Freundes Ingo Hartmann, der als Psychoanalytiker seine Patienten zu therapeutischen Sitzungen Familienfotos mitbringen lässt, um herauszufinden, welche Bedeutungen man aus den Bildern herauslesen kann und wie sie diese vermitteln. Als Folge davon entstehen Struths Familienporträts. Nicht als schnelle Schnappschüsse oder routinierte Inszenierungen, sondern in enger Zusammenarbeit mit den Porträtierten. Sie beinhalten oft monatelange, nicht selten jahrelange, immer wieder unterbrochene Diskussionen, in deren Verlauf der Künstler mit den ihm nahe stehenden Modellen herausarbeitet, wie sie im Bild gesehen werden wollen.

Die Bilder allerdings, die bis heute zu den bekanntesten und populärsten von Thomas Struth gehören, sind seine Museumsfotografien. Er beginnt mit ihnen im Jahre 1989, und der Anlass dafür ist autobiografisch. Zu der Zeit werden seine eigenen Werke zum ersten Mal in einem Museum gezeigt, und er will mit seinen Aufnahmen gewissermaßen ihren neuen Präsentationsort und dessen Bedingungen erkunden. Die Serie nimmt ihren Anfang im Louvre in Paris. Es folgen Bilder aus u. a. London, Amsterdam, Neapel, New York, Tokio, Wien, Rom, Chicago, aus quasi allen großen Museen der Welt. Zuletzt fotografiert Struth im Pergamonmuseum in Berlin. Was ihn dabei am Meisten interessiert ist das Verhältnis zwischen dem Publikum und der jeweiligen musealen Situation.

Dieses Überwältigungsformat hat sich in seinen neuen Werken, die er in »Nature & Politics« zeigt, noch gesteigert bis hin zu stolzen sechs bis sieben Quadratmeter messenden Bildern, die sich mit einem Blick vom fokussierenden Auge des Betrachters nicht mehr erfassen lassen. Alle Details dieser Aufnahmen in gleich bleibender Tiefenschärfe festzuhalten, das schafft nur das gleichgültige Kameraauge, dem alles gleich gilt. Neben neuen Städte-, Landschafts- und Museumsaufnahmen, zu denen sich auch noch Studien der Disney-Simulationen von Anaheim gesellen, sind es vor allem Struths Bilder von Stätten technologischer und wissenschaftlicher Forschung, die im Zentrum der Schau stehen. Was in ihnen untersucht und produziert wird, steht im Zusammenhang mit unserem Selbstverständnis. Das wiederum entwickelt sich in Abhängigkeit von der Politik, die ihrerseits Rückwirkungen auf die Art und Weise hat, wie wir mit der Natur umgehen: unserer eigenen und der Natur, die uns umgibt. So hängt alles mit allem zusammen, nimmt aber seinen Ausgangspunkt vom status quo unseres intellektuell und analytisch geprägten Weltverständnisses. Für die Labore, in denen dazu geforscht wird, und die high tech Fabriken, in denen man entsprechend produziert, interessiert sich Struth schon seit Jahren. So hat er u. a. bei der Nasa in Cape Canaveral fotografiert, in den Universitäten von Edinburgh und Zürich, im Max-Planck Institut für Plasmaphysik in Garching, einer Solarfabrik in Freiberg, im Hemholtz-Zentrum und der Charité in Berlin. Seine Hinwendung als Künstler zu Themen wie Energie, Weltraum, Transport, Medizin und Gentechnik hat er schon 2011 in programmatischer Weise bekannt gemacht: »Ich will sehen, wie der Maschinenraum der Moderne aussieht.«

Michael Stoeber