Interview

Kathleen Rahn, Direktorin, Kunstverein Hannover, Foto: Kunstverein Hannover, Fotografin: China Hopson, 2015

Textauszug

Kathleen Rahn
J. Krb.: Der frühere Direktor des Frankfurter Kunstvereins Peter Weiermair erklärte Ende der 1990er-Jahre kurz und bündig: Kunstvereine haben keinerlei Zukunft. Die Öffnung der Museen, Kunsthallen und Städtischen Galerien gegenüber zeitgenössischer Kunst hat die Kunstvereine in eine Zwickmühle gebracht. So haben die Vereine ihre exklusive Rolle – die Vermittlung zeitgenössischer Kunst – verloren. Sie reagierten auf diese Strukturveränderungen defensiv, indem sie sich museal ausrichteten oder sich in eine programmatische Nische begaben. Die Kunstvereine scheinen erkannt zu haben, dass sie mit musealen Präsentationen ihre Existenzberechtigung leichtfertig aufs Spiel setzen. So hat hier und dort eine Umorientierung eingesetzt, viele Vereine haben wieder die Zeitgenossenschaft im Fokus, dennoch vermisse ich mitunter die nötige Trennschärfe zwischen Kunstvereinen, Museen und Ausstellungshallen. Wie bestimmen Sie die Aufgabe der Kunstvereine heute?

K. R.: Es mag sein, dass »früher« klarer war, welche Generation von Künstlern man wo sehen konnte, doch finde ich es persönlich eher interessant, dass uns ein breites Spektrum an Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung steht, die wir in den verschiedenen Kontexten zeigen können. Es bleibt immer ein Unterschied, wo dies geschieht, denn wir haben als Kunstverein keine Sammlung, mit der unsere Ausstellungen in Relation gezeigt werden. Es ist doch eher den Kunstvereinen zu verdanken, dass ein paar Künstler in jüngster Zeit »wiederentdeckt« wurden, die ohne diese Möglichkeit ganz durchs Wahrnehmungsraster gefallen wären und somit durch die Vorarbeit der Kunstvereine wieder für Museen interessant werden. Als ich beispielsweise in Nürnberg die Britin Phyllida Barlow erstmalig in Deutschland mit einer Einzelausstellung zeigte, kaufte ein Mitglied eine der präsentierten Skulpturen und überließ diese dem Neuen Museum in Nürnberg. Angelika Nollert konnte dieses Exponat dann noch um weitere Werke für die Sammlung ergänzen – natürlich hatten wir uns bereits im Vorfeld der Ausstellung ausgetauscht, doch dass es dann auch zum Verbleib einer Spur der Ausstellung in Nürnberg kam, hat uns beide sehr gefreut. Ich sehe die verschiedenen Institutionen als Partner, die ihre Potenziale zusammenführen. Problematischer finde ich die Frage der verschiedenen Mitglieder- bzw. Freundeskreise der Institutionen, da jeder von uns diese Unterstützer braucht. Ich kenne es sowohl aus Nürnberg als auch hier in Hannover so, dass viele Kunst-affine Bürgerinnen und Bürger gleich bei mehreren Institutionen Mitglied sind, doch nimmt diese Haltung in den jüngeren Generationen ab, und wir müssen uns alle Gedanken machen, wie wir unsere neuen »Fans« bei uns behalten.

J. Krb.: Sie sagten einmal, das Programm soll sich am »wirklichen Leben, an der Gesellschaft orientieren«. Was heißt das?

K. R.: Um unser Programm besser zu vermitteln, versuchen wir, die Jahreskonzeption unter einem möglichst weiten Begriff zu subsumieren, bestenfalls ohne dabei die einzelnen Inhalte zu verkürzen, was natürlich dennoch mit dieser Versprachlichung eines vielschichtigen Konstruktes passiert. Bei den Überlegungen für das erste Ausstellungsjahr und der hiermit verbundenen Begrifflichkeit, kam ich gedanklich assoziativ immer wieder auf Joseph Beuys zurück und somit auf die viel besprochene vermeintliche Dualität von »Kunst und Leben« und fand es spannend zu überlegen, ob man das eine überhaupt vom anderen trennen kann. Zum anderen möchte ich mit dem Programm des Kunstvereins nicht im luftleeren Raum operieren, sondern Ausstellungen zeigen, die genau heute Relevanz haben. Ganz konkret fokussiert beispielsweise jährlich eine Ausstellung zeitgleich zu den Industrie- und Computer-Messen in Hannover die Frage, wie sich in der Kunst der digitale Wandel niederschlägt und insbesondere, welche gesellschaftlich relevanten Fragen in künstlerischen Werken verhandelt werden.

J. Krb.: In Hannover zeichnen Sie verantwortlich für monografische Ausstellungen mit Jean-Luc Moulène, Michael E. Smith und thematische wie »Digital Conditions« und »Mental Diary«. Geplant sind die Gruppenausstellung »Körper und Bühnen«, Einzelpräsentationen mit Alexandra Bircken, Susan Philipsz und »Open Studio 2«, eine Performance-Reihe, kuratiert von Mathilde de Croix. Steht das jeweilige Jahresprogramm unter einem Generalthema wie beispielsweise bei Stephan Berg?

K. R.: Alle Kunstvereine in Niedersachsen (bis auf die kestnergesellschaft) bewerben sich für das kommende Ausstellungsjahr um einen Grundetat des Ministeriums, was dazu einlädt, jedes Jahr unter eine Art »Motto« zu stellen. Diese Subsumierung führt zudem dazu, dass sich unser Publikum ein bisschen einstimmen kann auf die nächsten Projekte: So haben wir dieses Jahr den Begriff »Formen der Kunst« gewählt, um ein wiederum möglichst weites Assoziationsfeld zu eröffnen, da wir auch die vielleicht gemeinhin gängigen Vorstellungen von Kunst hinterfragen. Diese Formen kann man sowohl formal, medial als weit gespanntes Feld begreifen. Man kann es jedoch ebenso auf die einzelnen Protagonisten beziehen, die aus anderen Disziplinen kommen, wie im Falle von Alexandra Bircken, die zunächst im Bereich der Mode tätig war. Oder aber betrachtet man die Praxis von Adam Linder und Alexandra Bachzetsis, sieht man, dass beide sowohl in der Welt des Tanzes als auch der zeitgenössischen Kunst anzutreffen sind. Beide sind in der Ausstellung »Körper und Bühnen« vertreten, die eine ganz besondere Herausforderung darstellt in Bezug auf die Form der Ausstellung als zeitbasierte Performance und die immer hiermit verbundene Frage, wie man diese für eine Ausstellungslaufzeit als Spur oder wiederkehrendes Ereignis sichtbar macht. Spannend ist es, hierüber mit den Künstlern zu sprechen: wie beispielsweise der in der aktuellen Ausstellung »Digital Archives« vertretene japanische Künstler und Komponist Ryoji Ikeda im Aufbau zu uns sagte, wollten die Leute in der Bildenden Kunst immer so viel wissen über das, was sie sehen, im Gegensatz zu seinen Erfahrungen aus der Musik. Eher kunstvereinsmäßig experimentell gestalten wir den September, der sich derzeit noch finalisiert; wir möchten u. a. eine Zusammenarbeit aus dem letzten Jahr mit der jungen Gastkuratorin Mathilde de Croix fortsetzen, die sich im vergangenen Jahr mit der Kunstszene Niedersachsen beschäftigt hat – genaue Form und Titel des Projekts ist derzeit noch nicht definitiv.

J. Krb.: Ich bin skeptisch gegenüber niedrigschwelligen Vermittlungsangeboten, denn die Basis dieser Vermittlungsprogramme ist ein falsches Verständnis von Kunst. Kunst wird bedeutungsschwanger aufgeladen. Kunst könne Emotionen ausgleichen, gar zum Seelenheil führen, dem Fortschritt dienen, die Klimakatastrophe verhindern und die Menschen zum Besseren erziehen. Insbesondere die Kulturpolitik zeigt einen starken Hang, Kunst in dieser Weise zu instrumentalisieren. Kunst kann doch an dieser ihr zugeschriebenen Omnipotenz nur scheitern. Weder macht die Kunst bessere Menschen aus uns noch ist sie die Reparaturwerkstatt der Gesellschaft. Aber was kann Kunst leisten?

K. R.: Die Kunst selber sollte gar nichts »leisten«, sondern das sein, was sie ist: ein ohne Zwänge oder Auftraggeber hergestelltes Modell. Ob dies nun bei dem einen als »Entschleuniger«, bei dem anderen als »Stimulator«
funktioniert, bleibt dem Publikum überlassen. Vermittlung sehe ich als Angebot des Austausches, weniger als Erklärungsmaschine, die man meines Erachtens sowieso nicht braucht als selbständig denkender Mensch. Den Austausch, das gemeinsame Gespräch oder aber auch das kreative freie Denken beispielsweise bei Kindern zu fördern, ohne Nachbildungsduktus oder andere Formen des Imitierens aufzuzeigen, halte ich für einen wichtigen Impuls – Nachmalen, Ausmalen oder Bastelanweisungen folgen finden bei uns nicht statt, und das schätzen die Eltern und Lehrkräfte, die zu uns kommen, sehr.

J. Krb.: »Stoppt die Banalisierung« – so die Headline eines bemerkenswerten Artikels von Wolfgang Ullrich. Er beklagt den missionarischen Drang von Kunstvermittlern, wendet sich vehement gegen die stattfindende Banalisierung der Vermittlung und ihre zielgruppenorientierte Ausrichtung als Mittel zur Optimierung der Nachfrage. (Vgl. artist 105/2015-2016, www.https://ideenfreiheit.wordpress.com). Warum betreiben Sie Kunstvermittlung?

K. R.: Ich möchte durchaus, dass diejenige Kunst, die wir ausstellen, auch durch einen Diskurs begleitet wird, dass Kritiker sie ansehen und darüber schreiben und dass die Besucher darüber reden, es
weitererzählen, Gedanken entwickeln, das ist doch klar, dass in diesem Sinne Kunst ohne Vermittlung im Grunde genommen nur durch eine textliche Besprechung des Gesehenen rezipierbar ist. Die Vermittlung an ein Publikum, das ohne Vorkenntnisse den ersten Schritt in eine Ausstellungsinstitution wagt, ohne das Gezeigte zu banalisieren, ist durchaus eine Herausforderung, der wir uns täglich stellen, um daran anzuknüpfen, was Kunstvereine seit dem 19. Jahrhundert tun: Kunstliebhaber zu generieren. Wenn ich ein Haus leite, das Kunst zeigt, muss ich mir die Frage stellen, wie ich die Besucher empfange, deswegen betreibe ich Kunstvermittlung selbstverständlich als intergrativen Bestandteil meiner Arbeit.

J. Krb.: Freier Eintritt zu Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen, günstige Jahresgaben, Kunstreisen mit kompetenter Begleitung sind das Standardangebot aller Kunstvereine. Warum sollte man gerade bei Ihnen Mitglied werden?

K. R.: Weil unsere Kunstreisen besonders gut vorbereitet werden, wir wahnsinnig viele interessante Veranstaltungen anbieten, man tollen anderen Menschen begegnet, und weil wir ein besonders aktiver Verein sind und nicht nur mit Verstand, sondern auch mit dem Herzen dabei sind – und das bereits seit 184 Jahren!

Joachim Kreibohm