Artist Ausgabe Nr. 109

Portraits

Nick Koppenhagen | Lili Reynaud Dewar | Rochelle Feinstein | Albert Oehlen | Jimmie Durham

Interview

Susanne Titz

Page

Michael Schmid

Edition

Michael Schmid

Portrait

The Center of the World in Goslar, 2016, Wood, glass, metal, plastic, calfskin, bone, ca. 2 × 2 × 2 m, Photo: Nick Ash, Courtesy / © Jimmie Durham

Textauszug

Jimmie Durham
Das erste, woran viele Kunstinteressierte denken, wenn sie den Namen Jimmie Durham hören, ist seine indianische Abstammung. Der Künstler, 1940 in Arkansas geboren, hat Tscherokesen zu Eltern. Nicht selten verbindet sich mit dieser Überlegung bei ihnen eine zwischen Bewunderung und Verwunderung schwankende Haltung, wie weit Durham, zweimaliger documenta Teilnehmer und Teilnehmer verschiedener Biennalen, darunter der von Venedig, es doch gebracht hat als Künstler, was nichts Anderes als ein ins Positive gewandter Rassismus ist. Ähnliche Affekte sind in diesem Jahr wohl auch wieder fällig, wenn Jimmie Durham den renommierten Kaiserring erhält, mit dem die Stadt Goslar bildende Künstler auszeichnet, die ästhetische Maßstäbe gesetzt und sich in ihrem Fach verdient gemacht haben. Die Liste der Preisträger dieses Rings, der seit 1975 vergeben wird, liest sich wie ein Who is Who der Moderne und zu ihnen zu gehören, ist für die Betreffenden zweifellos ein Ritterschlag zu Lebzeiten.

Auch in einem der Videofilme, die Jimmie Durham in seiner Ausstellung anlässlich der Verleihung des Kaiserrings in Goslar zeigt, spielt ein Stein eine große Rolle. In »Smashing« (2004) sitzt der Künstler in schwarzem Anzug, weißem Hemd und mit dunkler Krawatte hinter einem Schreibtisch, während Menschen Schlange stehen, um ihm allerlei Gegenstände zu bringen. Jedes Objekt wird von Durham mit Hilfe eines groben Feldsteins gewaltsam zerstört. Danach stellt er dem »Lieferanten« im Gegenzug eine Art offizielles Dokument über die Aktion aus, gestempelt und unterschrieben. Die Inversion des künstlerischen Aktes, Niederreißen statt Aufbauen, ist von großem, eigentümlichen Reiz. Sie prononciert nicht nur eine Ästhetik der Destruktion, sondern auch einen Sieg der archaischen Natur über die Kultur. Andererseits lässt sich die Aktion auch als ironischer Seitenhieb gegen die wölfischen Sitten eines Kunstbetriebs verstehen, in dem die Konkurrenz gnadenlos ist.

Das Herzstück seiner Ausstellung ist für Jimmie Durham eine Installation, die er eigens für Goslar geschaffen hat. Die Betrachtung eines Wandbildes in der Kaiserpfalz hat ihn dazu inspiriert. Es zeigt, wie Karl der Große gewaltsam die Sachsen unterwirft, indem er ihren frühmittelalterlichen, in seinen Augen heidnischen Glauben bricht. Dabei wird ein »heiliger« Baum gefällt, um die Überlegenheit des Christentums und die Unterlegenheit der alten sächsischen Götter zu demonstrieren. Ein Vorgang, der sich so oder so ähnlich dutzende Male in der Weltgeschichte wiederholt hat und den Durham aus der Geschichte des eigenen Volkes nur allzu gut kennt. Bäume als Symbole der Verbundenheit mit der Natur und als Mittler zwischen Himmel und Erde spielen nicht von ungefähr eine große Rolle in seinem Werk.

Vor diesem Hintergrund ist auch Durhams Baum für Goslar zu verstehen, entstanden aus allerlei bedeutungstragenden Alltagsgegenständen. Die Fortsetzung seiner Hommage besteht in einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Hexen, für die der Harz berühmt ist. Man denke nur an die Walpurgisnacht in Goethes »Faust«. Weil die Hexen durch ihre Kenntnisse der Naturmedizin und der Heilkunst scheinbar Wunder zu wirken wussten, wurden sie verehrt, zugleich aber auch gefürchtet. Da die Kirche das Monopol auf Wunder für sich reklamierte, verfolgte sie die Hexen und ihr Treiben, klagte sie an und nicht selten landeten sie dabei auf dem Scheiterhaufen. Jimmie Durham kennt sich aus in der Geschichte der Außenseiter. Er weiß, dass die Sieger der Gesellschaft stets die Definitionsmacht über die Unterlegenen für sich beanspruchen. So zeigt der zweite Teil seiner Installation das »Porträt« einer Hexe. Der Künstler hat ihren Kopf selbst geschnitzt und mit einem Leinentuch bedeckt, dem er das Gesicht einer älteren Frau aufmalte. Der Körper ist wie frühe animistische Skulpturen Jimmie Durhams aus einer groben Holzkonstruktion entstanden. Dann wurde die Figur von Durhams Assistenten aus verschiedenen Perspektiven so fotografiert, wie man auch Kriminelle abbildet. Die Hexe ist in der Ausstellung nicht zu sehen, nur ihre Fotos sind es. Wie historisch aus Schimären Fakten wurden, ist hier aus einem Schnitzwerk eine reale Person geworden. Die Fotos werden zusammen mit einem Text des Künstlers als fiktiver Steckbrief präsentiert. Er spielt mit der Ambiguität der Eigenschaften, die der Frau zugeschrieben werden, und der Dinge, die man in ihrem Haus gefunden hat. Auf diese Weise verwandeln sich Harmlosigkeiten in Indizien einer Anklage. Sie zeigen, wie leicht es war – und ist –, eine Unschuldige zur Hexe zu machen. (Ausstellung Mönchehaus Museum Goslar, Jimmie Durham Evidence, 08. Oktober 2016 bis 29. Januar 2017)

Michael Stoeber