Artist Ausgabe Nr. 121

Portraits

Banu Cennetoglu | Fabian Treiber | Paul Czerlitzki | Kaari Upson

Page

Barbara Probst

Edition

Fabian Treiber

Portrait

Banu Cennetoglu, 2019, K21, © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Achim Kukulies

Textauszug

Banu Cennetoglu
In Kassel dann zeigte Cenneto?lu auf der documenta 14 ihre viel beachtete Textarbeit »BEINGSAFEISSCARY«, 2017, an der
Fassade des Kasseler Fridericianum, mit der sie in scheinbar paradoxer Rhetorik den permanent unsicheren und prekären Zustand unserer conditio humana zu Beginn des 21. Jahrhunderts ansprach: »Sicher zu sein ist beängstigend«. Das Notat basiert auf einem Graffiti, das die Künstlerin in Athen gesehen hatte, wird jetzt aber in Messing gegossenen Buchstaben gezeigt, die zum Teil dem Fridericianum entliehen waren. So findet hier wieder ein Akt der Veredelung statt, und wieder wird da die für unsere »Neue Medien-Welt« so typische schnelle Lesbarkeit der Schrift verhindert, dieses Mal durch das Weglassen der Leerstellen zwischen den einzelnen Wörtern. Gleichzeitig aber fügt sich die Arbeit so harmonisch in den Giebel des Fridericianums ein, dass sie nicht, wie die Athener Arbeit, beinahe monumental wirkt, sondern sich eher stolz versteckt. Signifikant auch der Kontextwechsel, den die Künstlerin mit »BEINGSAFEISSCARY« inszeniert: War das Graffiti in Athen an eine Mauer im Studentenviertel der Stadt, das auch ein Ort des linken Widerstandes in der Metropole ist, zu sehen, so ist die Sentenz nun an die Fassade des im klassizistischen Stil gebauten Fridericianum installiert, einem Bau, der schon im 18. Jahrhundert als Museum des hessischen Landgrafen fungierte und heute u. a. ein zentraler Austragungsort der weltgrößten Kunstausstellung ist, also getrost als »Herrschaftsarchitektur« bezeichnet werden kann.

Das Archiv »11.08.2015« (2015), das bereits 2015 im Bonner Kunstverein ausgestellt war, zeigt ausgewählte Zeitungen aus Deutschland. Die vergleichende Lektüre dieser Zeitungen offenbart dann nicht nur, welche Themen hier gerade mehr oder weniger allgemein als wichtig angesehen werden, sondern auch die scheinbare Gleichwertigkeit von Meldungen politischen Inhalts mit solchen aus den Bereichen Sport oder howbusiness, denn alle Themen tauchen hier immer wieder nebeneinander auf den Titelseiten auf, die Fußball-Bundesliga ist da also scheinbar ebenso wichtig wie ein Skandal des BDI. Die Auswahl der in den Zeitungen diskutierten Themen, so zeigt das parallele Lesen dann ebenfalls deutlich, ist selbstverständlich auch abhängig von der jeweiligen politischen Ausrichtung der ausgewählten Zeitung. Vermag die einzelne Zeitung noch als relativ »souverän« und »sachlich« erscheinen, in ihrer konzeptuellen Aneinanderreihung mit den anderen Printmedien erweist sie sich dann fast schon als willkürliche Geschichte. Klarerweise wird im konzentrierten Vergleich der einzelnen Archive auch deutlich, wie die Bedeutungen der jeweiligen Meldungen, ihr sogenannter, eben nur vermeintlich objektiver »Nachrichtenwert«, nicht zuletzt auch abhängig ist von der politischen Situation im dem Land, in dem die Tageszeitungen erscheinen, von dem »Nachrichtenfaktor« Nähe also.

Auch Banu Cenneto?lus Arbeit »ICHWEISSZWARABERDENNOCH« (2015/19) ist in besagter Ausstellung im K21 zu sehen. In dieser wahrhaft »luftigen« Installation ergeben 23 dunkle Luftballons die titelgebende Buchstabenfolge, ein Zitat des französischen Psychoanalytikers und Ethnologen Octave Mannoni, mit dem dieser den Vorgang des mehr oder weniger bewussten Verleugnens von Realität beschreibt. Als fast schon poetischer, im Titel wieder in nur einem Wort und in Versalien geschriebener Kommentar zu den Zeitungsarchiven, relativieren diese Luftballons, die unter der Decke schweben und während der Ausstellung zunehmend »schlapper« werden, die Handlungsmacht von Zeitungen entscheidend. Zwar weiß man auch dank ihnen um die Bedeutung des Klimawandels, aber dennoch fährt Mann und Frau täglich mit dem Auto zur Arbeit ... Zudem aber ist das Erschlaffen dieser Luftballons, das statt einer stabilen Form eine vergängliche, sich selbstzerstörende - ganz im Sinne von Gustav Metzgers »selfdestroying art« - in das künstlerische Vokabular der Künstlerin integriert, überaus bemerkenswert. Nicht nur löst sich dadurch die Bedeutung des Zitats langsam aber sicher »in Luft auf«, zudem steht so die Arbeit »ICHWEISSZWARABERDENNOCH« für die eingangs von mir erwähnte Spannung von Immaterialität und massiver Formulierung, für eine Spannung also, die zeigt, dass Banu Cenneto?lu angesichts ihres politischen Engagements an der festen Konsistenz eines (bürgerlichen und durchaus marktkonformen) Werkbegriffes zwar gerade noch festhält, diese aber aufgrund der Prozesshaftigkeit vieler ihrer Arbeiten immer wieder nachhaltig und produktiv hinterfragt.

Raimar Stange