Artist Ausgabe Nr. 121
Portraits
Banu Cennetoglu | Fabian Treiber | Paul Czerlitzki | Kaari UpsonPage
Barbara ProbstEssay
Roland SchappertAusstellungen
»Jetzt! Junge Malerei in Deutschland«Edition
Fabian TreiberEssay
Textauszug
»Angepasste Intoleranz«Sehr vielen Bildern innerhalb der westlichen Kunstgeschichte etablierter Maler wurden und werden im Rückblick pornografische Absichten unterstellt, man denke nur an Gustave Courbet und sein Gemälde »Ursprung der Welt«(1866), – oder mit pädophilen Absichten in Verbindung gebracht wie bei Balthus und seinem Bild »Thérèse, träumend« (1938). Nun liegt es auf der Hand, dass hierbei immer wieder die Bildmotive der Kunst mit vermeintlich eindeutigen Darstellungsabsichten verwechselt sowie jede Mehrdeutigkeit und mögliche aufklärende und hinweisende Haltung von Künstler*innen gefährdet wurden und werden. Etwas verlegen und die Freiheit der Kunst in eine der unteren Schubladen legend, liest sich dagegen die formale Rechtfertigung auf der Website des Musée d’Orsay, mit der die Ausstellung von Courbets umstrittenen Bild gerechtfertigt wird: »Courbets meisterhafter Kunst, seiner feinen bernsteinfarbenen Farbskala ist es zu verdanken, dass der Ursprung der Welt nichts von einem pornografischen Bild hat.« (https://www.musee-orsay.fr/de/kollektionen/werkbeschreibungen/gemaelde/commentaire_id/der-ursprung-der-welt-3962.html?tx_commentaire_pi1%5BpidLi%5D=509&tx_commentaire_pi1%5Bfrom%5D=841&cHash=cb020a342c)
Es fällt nicht schwer, auch hier eine angepasste Toleranz zu erkennen, der schwache Versuch, möglichen inhaltlichen und diskursiv einholbaren Motiven und Themen innerhalb der persönlichen und gesellschaftlichen Konstitution von Kunst eben nicht nachzugehen, sondern auszuweichen. Am Ende kann dann die Angst vor dem »falschen« Betrachter oder der weit verbreiteten Empörungskultur die Oberhand gewinnen. So stellt sich eine weitere fragwürdige oder falsche Toleranz mit dem angeblichen Ziel, niemanden zu verletzen oder zu nahetreten zu wollen, in Wechselwirkung zu weiterer Aufregung und Hysterisierung der Gesellschaft, die auch noch nicht so recht mit der Daten- und Löschpolitik der großen Internetkonzerne umzugehen weiß. Wenn die Bilder auf Facebook auf Intoleranz treffen, zensiert und gelöscht werden, warum werden sie dann in Museen noch ausgestellt? Die kleine Ausstellung in Köln hat innerhalb dieser widersprüchlichen Scheinlogiken angepasster Intoleranz anscheinend alles richtig gemacht, denn sie spielt mit Gegenaufmerksamkeit als Konterpart zur Empörungskultur – oder wie Padtberg in ihrer SPIEGEL-ONLINE Rezension schreibt: »Scheinheilige Spießermoral, schimpfen hingegen die Künstlerinnen und Künstler des Aktionskreises Frankfurter Hauptschule. Wenn ein Kunstwerk ein nacktes Kind zeigt – ist dann das Kunstwerk pädophil oder der Gedanke des Betrachters?, formuliert ein Sprecher. Wenn jemand Angst vor seinen eigenen Fantasien bekommt, ist das nicht das Problem der Kunst.« (Vgl. Padtberg a.a.O.) Es ließen sich unzählige weitere Ausstellungsdebatten anführen, die unser gegenwärtig so aktuelles Feld »falscher« Toleranz versus angepasster Intoleranz bestellen.