vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 52

Portraits

Dave Allen | Peter Sauerer | Cathy Wilkes | Mark Dion

Interview

Dirk Luckow

Page

Nina Schmitz

Polemik

Hajo Schiff

Künstlerbeilage

Klaus Schneider

Edition

Nina Schmitz

Ausstellung

Textauszug

»Zusammenhänge Herstellen«
Zeit ist ganz offensichtlich eines der großen Themen der Zeit. Die New Yorker Ausstellung »Tempo« und Wanderexhibitions »Ökonomien der Zeit« in Köln/Berlin/Zürich zeigen Arbeiten rund um diese Thematik. Zu Recht: Umgangsweisen mit Zeit, Erinnerung, Biographie und Geschichtsschreibung, die Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie die unterschiedlichen Formen von Narration, Archivierung, Ordnung und kultureller Überlieferung können als zentrale Fragen in vielen Arbeiten gegenwärtiger Künstler ausgemacht werden. Astrid Wege und Hans-Christian Dany, die Kuratoren der Ausstellung »Ökonomien der Zeit«, und Yilmaz Dziewior, der Leiter des Hamburger Kunstvereins, gehen diesen Fragestellungen einander ergänzend nach - und damit ist ein erster Zusammenhang hergestellt.

Wege und Dany interessieren sich vor allem für die Vielfalt an Formen, mit Zeit zu haushalten und dafür, mit welchen Bildern und Sprachen Geschichte(n) erzählt, geschrieben und damit sichtbar gemacht werden. Dziewior legt den Schwerpunkt seiner Gruppenexhibitions auf die Frage nach dem Stellenwert gesellschaftsrelevanter, ortsspezifischer und konzeptueller Strategien im Zusammenhang mit dem Zeitbegriff. Während Wege und Dany größtenteils in den 60ern geborene Künstler versammeln, gehören viele der in der Ausstellung »Zusammenhänge herstellen« vertretene Künstler einer jüngeren, in den 70er Jahren geborenen Generation an. Daß die Wahl auf Künstler dieses Alters gefallen ist, ist nicht zufällig. Man kann davon ausgehen, daß sie die kontextualistische, recherchierende und institutionskritische Kunst der neunziger Jahre bewußt rezipiert haben. Sie ist Teil ihrer künstlerischen Sozialisierung, und Yilmaz Dziewior reizt die modifizierte Art des von der jüngeren Generation praktizierten Umgangs mit jenen Fragestellungen. Auffallend ist, daß bei den jüngeren Künstlern insbesondere auf die formale Gestaltung Wert gelegt wird, der politische Gehalt wird jedoch weniger offensiv vorgetragen. Dabei gehen die gesellschaftsrelevanten Aspekte allerdings nicht zugunsten des Visuellen und Sinnlichen verloren. Im Gegenteil: Die Ästhetik der Oberflächen und Materialien ist wie die Präsentation, Vermittlung und Rezeption integraler Bestandteil der Thematik.

Sowohl »Ökonomien der Zeit« als auch »Zusammenhänge herstellen« demonstrieren, wie höchst gelungene Konzepte für Gruppenexhibitionsen aussehen können und imageen einen wohltuenden Gegenpol zu zahlreichen, mühsam konstruierten Negativ-Beispielen - etwa Themen-Ausgaben von Zeitschriften oder rätselhaft bleibenden Ausstellungskonzepte mit pädagogischem Anspruch, die lediglich die Archive der jeweiligen Institutionen neu durchsortieren, oder fragwürdige Versuche, erfolgreiche Doku-Roman-Konzepte in Museumsschauen zu übertragen. Wird die Blase, in die alles und alle hineinpassen sollen, schließlich zu groß, zerplatzt sie: Nicht immer geht ein Hype auf oder läßt sich ins Unendliche fortsetzten, wie man etwa auch auf dem Buchmarkt beobachten kann: Die Nabelschau der Pop-Literatur ist langweilig geworden. Überdauernde Bedeutung werden nur einige wenige erlangen, wie der Autor Christian Kracht. Mit seinem Roman »1979« hat er nicht nur subtil seinen eigenen Hype persifliert, sondern ein wirklich literarisches Werk geschrieben. Zentral ist übrigens auch hier ein heiliger Berg, den es zu umringen gilt. Die Berg-Thematik scheint ein Zeichen für neues Potential zu sein – vielleicht ein Konzept für eine Gruppenexhibitions?

Anna Catharina Gebbers