vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 62
Portraits
Michael Beutler | Rudolf Herz | Christoph Schlingensief | Elaine SturtevantInterview
Gèrard A. GoodrowPage
Claudia u. Julia MüllerKünstlerbeilage
Regina MöllerEdition
Natascha BorowskyAusstellung
Stephan Mörsch, Tauchzeichnung, 2004, entstanden vor dertürkischen Mittelmeerküste, Tauchtiefe bis zu 35 m
Textauszug
»Tauchfahrten«»Tauchfahrten. Zeichnung als Reportage« Einfachheit ist ihr sprichwörtlich zugeschrieben: Allein mit »Papier und Bleistift« könne die Zeichnung Kompliziertes anschaulich kommunizieren. Auch Ursprünglichkeit wird ihr nachgesagt: Ihre ersten Bilder von der Wirklichkeit habe sich die Menschheit per Handriss gemacht. Die Einfachheit trug dem Zeichnen lange den Rang einer dienenden Kunst ein. Die Zuschreibung von Ursprünglichkeit, verbunden mit dem Adelstitle einer anthropologischen Grundkonstante und der Annahme von Authentizität, rückte sie immer wieder in den Fokus künstlerischen und kuratorischen Interesses. So »einfach« die Zeichnung auch sein mag, in den Händen und Köpfen zeitgenössischer Künstler wie auch deren theoretisch-kritischer Begleiter gerät sie leicht zu einem systematisch und historisch komplex ausgreifenden Diskursobjekt. Es wäre vermessen, die in den jüngsten Ausstellungen gehäuft zum Thema aufgeworfenen Aspekte auch nur annähernd rekapitulieren, geschweige denn kritisch würdigen zu wollen. Positiv bilanziert: Der Blick für die Potenziale der Zeichnung wurde geweitet und für die kritische Revision mancher Mythen geschärft.
Clemens Krümmel und Alexander Roob haben für den Kunstverein Hannover eine Ausstellung realisiert, die weder zeigen will, was Zeichnung nicht ist, noch »was sie wirklich ist«. Anstelle einer Wesensbestimmung und damit der Wiederholung von »Gattungsspezifika« beschäf- tigen sich die beiden Kuratoren mit übergrei- fenden »Gebrauchsformen« der Zeichnung in einem thematisch abgegrenzten, zugleich aber auch außerkünstlerische Anwendungsräume öffnenden Gebiet: »Zeichnung als Reportage« heißt die Unterzeile ihrer Ausstellung. »Tauchfahrten«, so der Titel, deutet an, dass der Begriff »Reportage« hier wörtlich verstanden wird. Das Kuratorenduo will zeigen, was zeichnerisch von Expeditionen in auch abseitige und untergründige Räume, in Wirklichkeiten und Vorstellungswelten, Projekte, Pläne und Phantasien, zurück gebracht, re-portiert, werden kann. »Es reicht zu zeichnen« hat Krümmel seinen Katalogbeitrag überschrieben. Als eine weitere These der Ausstellung ließe sich formulieren: Zeichnung kann häufig mehr, auch und vor allem als man ihr zutraut.
Die Ausstellung zwängt sich beileibe nicht zu einer einengenden Definition der Zeichnung zusammen. Sie weitet das Verständnis eher durch überraschende Bildangebote und Volten in der Korrespondenz der Gattungen und Sujets. Die Hoffnung Clemens Krümmels ist berechtigt, dass von zahlreichen der ausgestellten Arbeiten Impulse ausgehen, sich eines Verfahrens zu erinnern, das »keine avantgardehafte Vorherrschaft verspricht, (...), das aber eine Fülle von Wegen bietet, auf das Interesse an Verhältnissen nicht nur Involvierung, sondern auch Engagement folgen zu lassen«.