Interview

Textauszug

Alexander Klar im Gespräch mit Joachim Kreibohm
Biografisches: Sie sind 1968 in Waiblingen geboren und in Athen aufgewachsen, studierten Kunstgeschichte, Geschichte und christliche Archäologie in Erlangen und wurden dort im Jahr 2000 an der Friedrich-Alexander-Universität promoviert. Die Dissertation verfassten Sie über den Architekten Friedrich Bürklein. Nach Stationen am Solomon R. Guggenheim Museum in New York (1997), an der Peggy Guggenheim Collection in Venedig (2000) und an der Kunsthalle in Emden (2002 bis 2004) waren Sie ab 2004 Ausstellungskurator am Victoria and Albert Museum in London. 2008 Gründungsdirektor des Emil Schumacher Museums in Hagen und 2010 übernahmen Sie die Leitung des Museums Wiesbaden von Volker Rattemeyer. Im August 2019 wurden Sie Nachfolger von Christoph Martin Vogtherr als Leiter der Hamburger Kunsthalle und sind als Direktor mit der künstlerischen und wissenschaftlichen Leitung des Hauses betraut.

J.Krb.: Längst wollen sich die Museen nicht mehr mit ihrer tradierten Rolle des Bewahrens bereits gesicherter Werte begnügen. Allerdings hat diese Entwicklung dazu geführt, dass die Museen ihr Kerngeschäft vernachlässigen, d. h. den Aufbau, die Präsentation, wissenschaftliche Aufbereitung und Pflege der Sammlung, und statt- dessen von Wechselausstellung zu Wechselausstellung eilen, auf Zeitgenossenschaft setzen und sich in Abhängigkeit von Sammler:innen begeben. Was ist die wesentliche Funktion des Museums heute: Ist es kultureller Wissensspeicher, Ort von Weltbildern, kulturelles Vermächtnis für künftige Generationen?

A.K.: Das Museum bewahrt Bilder aus allen Zeiten der Menschheit und erklärt sie. Das sind ideelle Werte, die jede Generation neu für sich entdeckt und verhandelt. Alles ist tradiert, aber nichts ist gesichert. Die Kunst, die wir heute aussuchen, präsentieren und erwerben ist ein Wurf in die Zukunft. »Vermächtnis« wollte ich das nicht nennen, da unser heutiges Sammeln mehr als ein Angebot an zukünftige Generationen ist. Die Gegenwartskunst von heute ist die Altmeistersammlung von morgen, da gilt es sorgfältig zu wählen, da unser Depotplatz begrenzt ist.

J.Krb.: Konzentrieren sich die Museen auf ihr Kerngeschäft, sind sie zwar dem Ideal des Museums nahe, aber für die Besucher:innen nicht in dem Maße attraktiv. Konzentrieren sich die Museen auf Blockbuster-Ausstellungen und setzen auf das Event, stimmen die Einschaltquoten, aber man entfernt sich mehr und mehr von der eigentlichen Aufgabe. Bereitet Ihnen diese Quadratur des Kreises Kopfzerbrechen?

A.K.: Interessanterweise ist die Konzentration auf das Kerngeschäft – darunter eben die Präsentation der eigenen Sammlung – durchaus attraktiv für unsere Besucher:innen. Man muss es allerdings konsequent angehen und nicht die Sammlung in schlechterer Ausstattung als die großen Sonderausstellungen präsentieren. Der Makart-Saal der Hamburger Kunsthalle etwa wurde 2019 mit dem finanziellen wie menschlichen Ressourceneinsatz einer aufwändigen Sonderausstellung neu eingerichtet: Die wesentlichen Elemente sind eine opulente Bildauswahl der großen, aber zum Teil sehr lange nicht mehr gezeigten Sammlung der Salonmalerei der Hamburger Kunsthalle, die dreireihige Hängung auf einer auberginefarbenen Wandbespannung, aufwändige Sockelpaneele an den Wänden, mehrere Audio- und Bildspuren in unserer App, ein aufwändiges Begleit- und Vermittlungsprogramm, et voilà, der Makart-Saal ist einer der beliebtesten Säle des Hauses, in dem die Besucher:innen lange verweilen. In der Vergangenheit war das ein Durchgangssaal in die Sammlung, heute ist es eine ihrer Herzkammern – und ein Touristenmagnet.

J.Krb.: Die Geschichte der Hamburger Kunsthalle ist eng mit dem Namen Alfred Lichtwark verknüpft, der als erster Direktor der Kunsthalle am 1. Oktober 1886 sein Amt antrat. Gustav Pauli wurde 1914 sein Nachfolger, der zuvor die Bremer Kunsthalle leitete. Carl Georg Heise (1946-1956), Alfred Hentzen (1956-1969), Werner Hofmann (1969-1990), Uwe M. Schneede (1990-2006), Hubertus Gaßner (2006-2016), Christoph Martin Vogtherr (2016-2018) waren die Direktoren, die nach 1945 die Kunsthalle leiteten. Keine einzige Frau, fühlen Sie sich einem Ihrer Vorgänger in besonderer Weise verpflichtet?

A.K.: Tatsache, keine einzige Frau, das konnte auch ich nicht ändern… Wem fühle ich mich besonders verpflichtet? Zum einen Uwe Schneede, der die Kunsthalle sehr konsequent und vorrangig auf das Sammeln von Gegenwart verpflichtet hat, das halte ich ganz ebenso, da ich der Ansicht bin, dass die Kunsthalle ein Haus ist, das Kunstgeschichte aus der Gegenwart heraus und mit einem eigenen Standpunkt betreiben sollte. Und Hubertus Gaßner fühle ich mich verpflichtet, weil er ein kunsthistorisch hochwertiges Ausstellungsprogramm betrieben hat, das Kuratieren als eine wissenschaftliche Betätigung begriff. Ausstellungen sollen Fragestellungen nachgehen, Thesen aufwerfen und zu beweisen versuchen. Das ist uns unlängst etwa mit den Ausstellungen »Atmen« oder »Femme Fatale« sehr gut gelungen.

J.Krb.: Die Sammlung der Hamburger Kunsthalle umspannt Kunst aus acht Jahrhunderten. Schwerpunkte liegen u. a. in der flämischen und holländischen Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts, in der deutschen und französischen Malerei des 19. Jahrhunderts, den Klassikern der Moderne, den Malern der »Brücke« und des »Blauen Reiter« und ebenso bildet die Kunst nach 1945 einen Schwerpunkt. Ein Charakteristikum der Galerie der Gegenwart bilden die Künstlerräume, die als Auftragsarbeiten anlässlich der Eröffnung eingerichtet wurden. Nicht zu vergessen das Kupferstichkabinett im Altbau der Kunsthalle. Wo liegen die Stärken der Sammlung?

A.K.: Im ersten Obergeschoss der Galerie der Gegenwart finden Sie gerade junge Gegenwartsmalerei (auch wenn der älteste der Maler bereits 90 ist, die Bilder sind weitgehend aus den vergangenen fünf Jahren). Im zweiten Obergeschoss finden unsere großen Sonderausstellungen statt, zuletzt »Femme Fatale«, demnächst »Vija Celmins / Gerhard Richter« und im dritten Obergeschoss ist seit vergangenem Jahr die Ausstellung »something new, something old, something desired« zu sehen, eine Ausstellung der jüngsten Sammlungszugänge der Gegenwartskunst. Die Schwerpunkte der Sammlung der Hamburger Kunsthalle liegen bei den Alten Meistern in der Tat bei der niederländischen Malerei, im 19. Jahrhundert in der Kunst der Romantik und dem französischen und deutschen Impressionismus, in der Klassischen Moderne im deutschen Expressionismus.

J.Krb.: Die Kunsthalle beherbergt in drei Gebäuden (Altbau, Hubertus-Wald-Forum, Galerie der Gegenwart) Kunst auf einer Fläche von rund 13.000 qm. Räume, die sich in ihrer Architektur unterscheiden. Sie sagten selbst einmal: »Der Ungers-Bau ist schon eine schwierige Nummer«. Welche Räume braucht die Kunst, gibt es ideale Lösungen?

A.K.: Die »Schwierigkeit« des Ungers-Baues ist sein Charakter und der wiederum prägt das Gesicht der Kunsthalle. Man sollte sich also mit den Herausforderungen, die die Architektur an einen stellt, anfreunden. Wir streben danach, die räumlichen Gegebenheiten optimal zu nutzen, also mit und nicht gegen die Architektur zu kuratieren. Das Ergebnis sind eindrückliche Ausstellungen, in denen die Kunst und der Raum in eine erlebbare Beziehung treten.

J.Krb.: Der Reichtum kapitalistischer Gesellschaften erscheint nach Karl Marx als ungeheure Warensammlung. Waren werden produziert, verkauft und gekauft. Ist das Museum ein Refugium, wo keine ökonomischen Gesetze herrschen. Ist der Verkauf von Sammlungsbeständen ein absolutes no go, um den Etat zu erhöhen, ein Minus zu reduzieren oder Irrtümer zu korrigieren, wie halten Sie es mit dem Tafelsilber?

A.K.: Im Museum herrschen dieselben ökonomischen Gesetze wie außerhalb des Museums. Im Museum herrscht aber auch das Primat der Kunst, das heißt, keine ökonomische Gesetzmäßigkeit der Welt zwingt uns Kunst zu verkaufen, um Etatlöcher zu stopfen. Verkauf steht für mich aber auch just aus ökonomischen Gründen außer Frage: Berühmte und darum teure Werke zu verkaufen, hieße die eigene Raison d'être zu zerstören, unbekannte und darum billige Werke zu verkaufen brächte nichts ein.

J.Krb.: Museen wollen Vergangenheit und Gegenwart als kulturelles Vermächtnis auch zukünftigen Generationen verfügbar und sichtbar machen. Verfolgen dagegen Privatsammler:innen nur egoistische Ziele und lassen sie sich von ökonomischen Interessen leiten? Wie unterscheiden sich private von öffentlichen Sammlungen?

A.K.: Das ist so unterschiedlich, wie die Menschen unterschiedlich sind. Grundsätzlich gilt: Sammeln mag privat sein, es geschieht aber doch in den meisten Fällen mit der Intention, die gesammelte Kunst jemandem zu zeigen. Dann wird privat nolens volens öffentlich. Wer ausschließlich aus ökonomischem Antrieb sammelt, kommt meist nicht weit, Kunstfonds sind eine recht spekulative Angelegenheit, in meinen Augen am Rande der Anrüchigkeit.

J.Krb.: Mitunter erweisen sich die Mitarbeiter der Museen als Kunstgeschichtler, die einen schieren Altruismus predigen und ständig die Einmaligkeit von Aura und Kontemplation betonen. Auch ist das Wach- und Kassenpersonal schon mal launenhaft. Ist in der Hamburger Kunsthalle alles anders, was wäre eine ideale »Willkommenskultur«? »Visitors’ Service« scheint ein Credo von Ihnen zu sein. Ist das so?

A.K.: Das ist so. Guter Service den Besucher:innen gegenüber sollte das Credo eines jeden Museumsmanagers sein. An der Hamburger Kunsthalle war das schon vor mir ein herausragendes Merkmal, das ganz klar mit den Personen verbunden ist, die unseren Besucherservice bilden. Meine Kolleg:innen am Eingang, an den Kassen und in den Sälen haben langjährige Erfahrung und freuen sich über den Zuspruch, den unser Haus findet. Das merkt man selbst bei großem Andrang oder stressigen Situationen. Auf diese zugewandte Professionalität bin ich ausnehmend stolz.

J.Krb.: Inzwischen sind die sogenannten »Klimakleber« weltweit in Museen und Ausstellungshäusern unterwegs. So generieren sie Aufmerksamkeit für ihre Kritik an der viel zu unentschlossenen Politik in Sachen Klimakatastrophe. Eine Aktion der Gruppe »Letzte Generation« wurde kürzlich in der Hamburger Kunsthalle vom Wachpersonal verhindert. Zwei Aktivistinnen wollten das Sicherheitsglas des Gemäldes »Der Wanderer über dem Nebelmeer« von Caspar David Friedrich überkleben. Unterschiedlichste Reaktionen in Medien und Öffentlichkeit: »Ziviler Ungehorsam«, »Klima- Terroristen«, »Bilderstürmer« – was meinen Sie, sind Sie empört, haben Sie Verständnis oder spüren gar »klammheimliche Freude«?

A.K.: Ich verspüre den Drang, unter Wahrung meines Auftrages, die Werke der Kunsthalle in die nächste Generation zu tragen, mich für die Bewältigung der Klimakrise einzusetzen, damit der Staffelstab der Generationen, der in der Kunsthalle sichtbar ist, auch noch an möglichst viele Generationen weitergegeben werden kann.

Joachim Kreibohm