Vor mehr als 30 Jahren wagten wir den Sprung ins kalte Wasser und brachten unser erstes Heft heraus. Einige Besserwisser prophezeiten uns einen kurzen Atem. Andere wiederum waren von der Idee begeistert. Wir sind es immer noch. Der Enthusiasmus für Kunst ist geblieben und wird bleiben. Alle drei Monate berichten wir über neue Aspekte zeitgenössischer Kunst, konzentrieren uns auf die Schnittstellen des aktuellen Diskurses und bieten einen kritischen Leitfaden, sich im Betriebssystem Kunst zurechtzufinden. Leider ist derzeit unsere Freude ein wenig getrübt. Nach wie vor hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem. Nach dem Shutdown dann Lockerungen für Wirtschaft und soziales Leben, nun neuerliche Einschränkungen. Heft 125 ist für uns Ansporn und Aufmunterung, so weiterzumachen wie bisher. Dank an alle, die uns in dieser Zeit begleitet haben.
Ihr Joachim Kreibohm
Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigt und steigt, immer mehr Städte und Kreise gelten als Risikogebiet. Jetzt haben sich Bund und Länder auf einen neuen Maßnahmen-Katalog geeinigt, um die schwierige Situation in den Griff zu bekommen. Ab dem 2. November gelten umfassende Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens. Bundesweit werden Freizeiteinrichtungen und Gastronomie geschlossen, Unterhaltungsveranstaltungen verboten und Kontakte in der Öffentlichkeit sowie Zusammenkünfte auf Plätzen und in Wohnungen eingeschränkt. Theater, Opern, Kinos oder Konzerthäuser schließen. Auch Museen, Kunstvereine, Städtische Galerien bleiben geschlossen, Bibliotheken geöffnet. In einem offenen Brief kritisieren zahlreiche Museumsdirektoren die erneute Schließung ihrer Einrichtungen. Museen seien sichere Orte der kulturellen Bildung mit funktionierenden Hygienekonzepten. Mehr als vierzig Direktorinnen und Direktoren deutscher Kunstmuseen haben ihn unterschrieben, darunter Alexander Klar, Direktor der Kunsthalle Hamburg, Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart und Stefan Berg, Direktor des Kunstmuseums Bonn.
In dieser Reihe präsentiert das Fridericianum ortsspezifische Werke, durch die – jenseits der regulären Ausstellungsflächen – die bislang nicht genutzten Zwischenbereiche und Verkehrsflächen des Gebäudes eine Aktivierung, Akzentuierung oder Transformation erfahren. Für das aktuelle Projekt hat die 1967 geborene Bildhauerin Alexandra Bircken eine Figur für den Portikus des Gebäudes geschaffen. Mittels 3-D-Scanner wandelte sie gesammeltes Datenmaterial in eine Gussform für eine grüne Figur um, die einen Handstand vorführt. Über dem Portikus des Fridericianum, zwischen den Allegorien der Architektur und Philosophie, verharrt eine grün schillernde Figur im Handstand. In der Arbeit ist die Pose einer jungen Turnerin verewigt. Wenige Meter von den Treppenstufen des Portikus entfernt steht ein zweiter, ebenfalls grün gefasster Aluminiumguss, der in der gleichen Weise wie die Höhenakrobatin realisiert wurde. Anders jedoch als die Plastik auf dem Gebäude steht die Figur auf dem Kopfsteinpflaster nicht auf den Händen. Hier ist die Turnerin um 180 Grad gedreht, erhebt sich also mit ihren Fußspitzen vom Boden und scheint mit ihren angewinkelten Händen das Firmament zu tragen. »Top down / Bottom up« lautet der Titel der beiden Skulpturen. Das zweiteilige Werk spricht mit und widerspricht zugleich der historischen Architektur des Fridericianum sowie den am Friedrichsplatz realisierten Außenskulpturen aus vergangenen documenta Ausstellungen.