Artist Ausgabe Nr. 57

Portraits

Andrea Fraser | FUTURE7 | Shirin Neshat | Florian Pumhösel | Wawrzyniec Tokarski

Interview

Robert Fleck

Page

Heimo Zobernig

Künstlerbeilage

Jürgen Witte

Portrait

Identified, 1995, Gelantinesilberabzug und Tinte, aus der Serie: »Women of Allah«, Courtesy Thomas Rehbein Galerie, Köln

Textauszug

Shirin Neshat
In ihren Arbeiten, die von den Beziehungen der Geschlechter handeln, von individuellem Begehren und kollektiver Zensur, werden Konzepte des Feminismus ebenso deutlich wie Ideen des Islam. Um bei den Themen ihre biographische Involvierung und ihr persönliches Engagement deutlich zu machen, wird sie selbst zur Protagonistin ihrer Arbeit. In der Fotoserie »Women of Allah« (1993-97), die sie zum ersten Mal einem internationalen Publikum bekannt macht, posiert sie selbst, allein oder mit Partnerinnen. Gekleidet im traditionellen Tschador, der nur Hände, Füße und Gesicht freilässt, die beschrieben sind mit Liebeslyrik in eleganter Farsi-Kalligraphie. Im irritierenden Gegensatz dazu stehen die Waffen, die die Frauen tragen. Sie verweisen zum einen auf die Gewalttätigkeit der islamischen Revolution, zum anderen auf die Ambivalenz der menschlichen Natur, die mit derselben Vehemenz lieben wie hassen kann. Schon hier zeigt sich die betörende Qualität von Neshats Arbeiten, Aktualität und Permanenz von Aussagen gelingend miteinander zu verknüpfen.

Die symbolischen und poetischen Dimensionen des Werks, die überaus sinnliche Farbe, die Neshat neuerdings in ihren Filmen einsetzt, die hypnotisierende Musik (Neshat arbeitete bei »Passage« mit Philip Glass zusammen), all das macht, dass Shirin Neshats Videowerke auf den Betrachter eine intensive Faszination ausüben. Ihre Fähigkeit, zeitliche und ewige Sujets zu synchronisieren, trägt die Signatur wahrhaft großer Kunst, die nicht nur heute gilt, sondern auch Morgen und Übermorgen noch gültig sein wird.

Michael Stoeber