Artist Ausgabe Nr. 49

Portraits

Simon Starling | Björn Melhus | Ceal Floyer | Carsten Höller | Maria Eichhorn

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Muntean / Rosenblum

Ausstellungen

»Neue Welt«

Künstlerbeilage

Peter Niemann

Portrait

»Nail Biting Performance«, 2001, Symphony Hall, Birmingham, Courtesy IKON Gallery, Birmingham

Textauszug

Ceal Floyer
Angela Rosenberg über

»Art is just a manifestation, a Trojan Horse, for ideas«: Mit der Verwendung der Metapher des Trojanischen Pferdes, beschreibt die britische Künstlerin Ceal Floyer ihr strategisches Verständnis und ihren subversiven Umgang mit der Kunst. Sie interessiert nicht etwa die äußere Form einer Skulptur, sondern das nicht Sichtbare, verborgene Potential, das Unausgesprochene. Konsequenterweise entziehen sich ihre Interventionen durch extreme Reduktion einem materialistischen Kunstbegriff, ihre Arbeiten vermitteln sich nicht in erster Linie über das, was sichtbar oder greifbar ist.

Besonders deutlich wird dieser Vorgang bei Floyers jüngst realisierten Live-Performance in der Symphony Hall, Birmingham, im Rahmen eines klassischen Konzertabends mit Musik von Beethoven und Strawinsky. »Nail Biting Performance« (Nägelkauen Performance, 2001) beschreibt sehr pragmatisch, was zu sehen war. Wie im Programm angekündigt, betritt die Künstlerin die Bühne, vor ihr ein Mikrophon. Das erwartungsvolle Publikum im Visier, führt sie die Hand an den Mund und beginnt die profane Ankündigung wahrzumachen und mit indifferentem Gesichtsausdruck an ihren Fingernägeln zu kauen. Über vier Minuten lang zieht sich dieser Prozeß, lange genug, um Zweifel beim Publikum aufkommen zu lassen, was die Person auf der Bühne und ihre Motive angeht, den weiteren Programmverlauf oder ihre eigene Rolle als Zuschauer zu hinterfragen, aber nicht lange genug, um zu intervenieren. In der englischen Sprache bedeutet »nail biting« außer Nägel kauen gleichzeitig auch spannungsgeladen. Ceal Floyer nutzt diese Doppelbedeutung für ein aufgeladenes Spiel mit den Erwartungen an den Künstler, Kunstwerk, Kontext und Publikum. Nun gilt Nägelkauen als Inbegriff für Nervosität und Unsicherheit, eine »schlechte Angewohnheit«, wie in der Nase zu bohren. In der Öffentlichkeit wird der Nagelkauer als geistesabwesend, wenn nicht als verletzbar wahrgenommen – angespannt und nicht fähig, diese Anspannung zu unterdrücken. Durch die Veröffentlichung dieser Aktion im Konzertsaal, wird die Spannung im Raum, die Nervosität der Künstlerin (oder des Orchesters), gegenüber der Erwartungshaltung des Publikums thematisiert.

Angela Rosenberg