Artist Ausgabe Nr. 85
Portraits
Almut Linde | Stephan Baumkötter | Preechaya Siripanich | Poul Gernes | Peter BöhnischInterview
Roland NachtigällerPage
Beate GütschowEssay
Thomas WulffenKünstlerbeilage
Susanne HanusPortrait
Textauszug
Almut LindeDer Begriff des »Dirty Minimal« ist seit Ende der 1980er Jahre wegweisend für die künstlerische Strategie Almut Lindes. Die Künstlerin beschreibt in einem Interview mit Oliver Zybok diese Vorgehensweise folgendermaßen: »In meiner Kunstpraxis, Dirty Minimal, bedeutet Minimal: ein Konzept, eine einfache geometrische Form, eine einfache Anweisung; und Dirt: eine formende Kraft, die nicht weiter spezifiziert werden kann, die im Alltagsleben normalerweise ignoriert oder per Zufall genannt wird. Das Konzept (Minimal) wird in der Realität platziert. Es passiert Vorgesehenes und Unvorgesehenes (Dirt), weil ein Konzept nie etwas Tatsächlichem in der Realität entspricht, sondern nur eine Annäherung ist. Und plötzlich ist der extrem saubere und leere Minimal Cube in der Realität überhaupt nicht mehr sauber und leer.«(1) Klingt irgendwie präzise, diese künstlerische Selbstinterpretation, aber durchaus nicht unkompliziert, darum sei ein weiteres Beispiel dieser engagierten Kunst vorgestellt, die sich im Laufe der Jahre immer expliziter mit politisch prekären Fragestellungen beschäftigt, etwa mit kapitalistischen Arbeitsprozessen.
Diese Ikone der deutschen romantischen Malerei thematisierte bekanntlich das prekäre Verhältnis von Mensch und Naturkräften, ein Verhältnis, das in unserem 21. Jahrhundert endgültig aus den Fugen geraten ist - Stichwort: Klimakatastrophe. Doch nicht nur die Ästhetik der Minimal Art wird hier gegen gelesen, sondern auch die von Caspar David Friedrichs Gemälde, und zwar dadurch, dass Almut Linde nicht, wie Friedrich, vor allem auf komponierte Abbildlichkeit setzt, sondern zudem und vielmehr auf die konkrete Kraft des von ihr benutzten und kaum bearbeiteten Industrieabfalls.
Das Styropor, aus dem ihre »industriellen Eisschollen« (Linde) gestaltet sind, mahnt nämlich nicht nur in expressiver Evaluation die Umweltverschmutzung an, sondern auch die ihm innewohnenden Probleme, die bei seiner Produktion, Nutzung und Zerstörung anfallen: Da bei der Herstellung von Styropor Erdölressourcen verbraucht werden, trägt diese zum Klimawandel bei. Zudem verrottet Styropor nicht, was es zu einem Entsorgungsproblem macht, zumal bei der Verbrennung von Styropor außerdem toxische Gase und CO 2 freigesetzt werden. Die Schönheit dieses »Eismeeres«, die auf den ersten Blick durchaus gegeben ist, wird in »Dirty Minimal #61.3 - Eismeer« also mehrfach gleichsam kontaminiert. Diese zwiespältige Struktur der künstlerisch »vergifteten« Formgebung läuft offensichtlich parallel zu unserem Umgang mit Natur.
Und hatte nicht schon Bertolt Brecht gefordert, dass ein »Einverstandensein« mit dem Gegebenen die Basis jedweder Gesellschaftskritik sein muss?! Almut Lindes Parallelaktionen von Kunst und Realität, die oftmals ihrem »Dirty Minimal« zu Grunde liegen, provozieren genau dieses »Einverstandensein«, um es dann zur kritischen wie ästhetischen Disposition stellen zu können.
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