Artist Ausgabe Nr. 85
Portraits
Almut Linde | Stephan Baumkötter | Preechaya Siripanich | Poul Gernes | Peter BöhnischInterview
Roland NachtigällerPage
Beate GütschowEssay
Thomas WulffenKünstlerbeilage
Susanne HanusInterview
Roland Nachtigäller, Künstlerischer Direktor, MARTa, Herford, Foto: Hans Schröder
Textauszug
Roland NachtigällerJ.Krb.: Sie studierten Kunst, Visuelle Kommunikation, Germanistik und Medienpädagogik in Kassel, waren wissenschaftlicher Assistent von Veit Loers am Museum Fridericianum in Kassel, realisierten zwischen 1998 und 2000 gemeinsam mit Martin Köttering in Nordhorn das Skulpturenprojekt »kunstwegen«. Von 2003 bis Ende 2008 leiteten Sie die Städtische Galerie Nordhorn. 2007 eröffnete das von Ihnen konzipierte künstlerische Freilandlabor »Feldversuche« in der Seegeniederung an der Elbe. Seit dem 1. Januar 2009 sind Sie Direktor des Museums MARTa Herford und folgten dem Gründungsdirektor Jan Hoet nach. Welche Station in Ihrer Biografie hat Sie in besonderer Weise geprägt?
R.N.: Jede nähere Begegnung mit Menschen hinterlässt ihre Spuren, jeder »Lehrer« schreibt sich in eine Biographie ein. Sicherlich war das documenta-Jahr 1992 und damit die intensive Zusammenarbeit mit Jan Hoet eine stark prägende Zeit. Es war vor allem seine Sicht auf die Kunst und die Künstler, die die Perspektiven völlig neu verschoben hat. Aber auch schon das Studium bei Georg Bussmann, der u.a. in den 70er Jahren auf spektakuläre Weise den Frankfurter Kunstverein leitete, schärfte das Bewusstsein dafür, alte kunsthistorische Zöpfe erst gar nicht wachsen zu lassen, und Kunst vor allem direkt und mit viel Nähe zum Werk selbst wahrzunehmen. Bei Veit Loes z.B. konnte man viel darüber erfahren, wie man Räume sieht und inszeniert, wie man durch präzises Schauen eine Hängung erarbeitet, die viel komplexer gedacht ist als sie dem Publikum zumeist bewusst wird und die sich dennoch visuell vermittelt. Als ich dann 2001 für das documenta Archiv die Verantwortung für die Ausstellung »Wiedervorlage d5« übernahm, war es nicht nur die unmittelbare Begegnung mit Harald Szeemann, die sich tief in das Bewusstsein einschrieb, sondern auch das große Experiment, wie sich historische Archivalien im Dialog mit zeitgenössischen Künstlern neu beleben. Und in Nordhorn begann u.a. mein Interesse an Fragen zur Kunst im öffentlichen Raum, ein hoch spannendes und immer noch dynamisch sich veränderndes Feld künstlerischer Arbeit, das mich bis heute stark beschäftigt - praktisch wie theoretisch und vor allem auch vor dem Hintergrund, dass es den öffentlichen Raum so nicht gibt.
J.Krb.: Viele Museen eilen von Event zu Event, von Ausstellung zu Ausstellung. Zwar hat diese Entwicklung den Museen Besucherzahlen beschert, aber sie haben sich von ihren eigentlichen Aufgaben mehr und mehr entfernt. Wie wollen Sie diese Quadratur des Kreises durchbrechen?
R.N.: Wir haben als Museumsdirektoren heute vielleicht mehr denn je die Aufgabe, diese von Ihnen als die »eigentlichen« Aufgaben« bezeichneten Aktivitäten wieder in die Mitte der Gesellschaft und in die öffentliche Diskussion zu tragen. Nachhaltigkeit, Entschleunigung, Ressourcenmanagement sind heute alles Vokabeln, die einen zum Teil schon wieder modisch besetzten Diskurs über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft prägen. Die Grundgedanken dahinter sind aber viel prinzipieller und damit durchaus auch auf das Museum und den kulturellen Prozess anzuwenden. Gerade in der gegenwärtigen Nervosität bezüglich der öffentlichen Haushalte werden Kunst und Kultur gerne als verzichtbares Beiwerk angesehen, das irgendwie zu funktionieren, möglichst gar sich selbst zu finanzieren und ansonsten sich für jegliches politisches Ränkespiel und Bashing bereit zu halten hat. Damit aber wird ein Grundkapital aufs Spiel gesetzt, dass dieses öffentliche Leben überhaupt erst möglich macht. Kulturlosigkeit bedeutet gesellschaftlicher Untergang, und ich hoffe nicht, dass wir erst das Sterben großer Museen erleben müssen, bis wir schmerzlich entdecken, in welche geistige Verarmung dies führt. Innovationen, Persönlichkeiten, Visionen entstehen allein aus einem kulturell, ja ich will sogar sagen künstlerisch geprägten Gesellschaftszusammenhang - alles andere ist Technokratie, Kommerz und geistiges Sterben.
J.Krb.: Schlägt sich der Dreiklang »Kunst, Design und Architektur« auch in der Sammlung und in den Ausstellungen nieder, nimmt sie Bezug auf die spezielle Ausrichtung des Museums? Was sind die Schwerpunkte der seit 2001 entstandenen Sammlung?
R.N.: Dieser Dreiklang ist in jedem Fall Leitgedanke unserer Überlegungen und Aktivitäten. Aber ich bin auch kein großer Freund starrer Systematiken; Ausbrüche, Überraschungen, Unkonventionelles sind doch das Salz in der Suppe einer Programmatik. Dennoch legt die Marta-Sammlung schon den Fokus auf Künstler, die sich in ihrer Arbeit mit Architektur- und Designfragen beschäftigen, oder auch auf Designer, die mit fast künstlerischer Ambition an die Gestaltung von Gegenständen gehen. Doch auch hier gilt: Nicht alles muss sich nahtlos in ein festes theoretisches Schema einpassen, die Begeisterung für einzelne Arbeiten, der Glaube an ihre Bedeutung und Faszinationskraft ist ein ganz wichtiger Antrieb.