vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 92

Portraits

Pawel Althamer | Andrea Winkler | Andreas Karl Schulze | Georg Winter | Bettina Pousttchi

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Kinki Texas

Portrait

Framework, Commissioned by Schirn Kunsthalle Frankfurt, Installationsansicht Rotunde, 2012, Foto: Norbert Miguletz

Textauszug

Bettina Pousttchi
Bekannt geworden ist Bettina Pousttchi einem auch größeren Kunstpublikum in den Jahren 2009/10, als auf dem Berliner Schlossplatz sechs Monate lang ihre eindrucksvolle Fotoinstallation »Echo« zu sehen war. Sie bedeckte die gesamte, etwa 2000 Quadratmeter große Außenfassade der Temporären Kunsthalle und verwandelte sie in einen Widergänger des zuvor abgerissenen Palastes der Republik. 970 Einzelplakate aus Papier hatte die Künstlerin mit ihren Assistenten verklebt. Dabei handelte es sich bei Pousttchis Installation keineswegs um perfekte Mimikry. Es ging ihr nicht um eine maßstabsgetreue Fassadensimulation - dafür war die Kunsthalle auch viel zu klein - sondern die Künstlerin inszenierte dort ein raffiniertes Spiel von Konstruktion und Dekonstruktion. Monate hatte sie zur Vorbereitung ihrer Arbeit in Berliner Archiven zugebracht und die Geschichte des Palastes der Republik studiert sowie seines architektonischen Vorgängers, des Hohenzollernschlosses, das 1945 nach Bombenangriffen der Alliierten weitgehend ausgebrannt war und dessen Reste die SED 1960 sprengen ließ, um auf den Grundmauern den Palast der Republik zu errichten. 1976 wurde der Koloss nach 32-monatiger Bauzeit feierlich eröffnet, nur um 30 Jahre später in zweijähriger Arbeit wieder abgerissen zu werden. 5.000 Tonnen Asbest waren in dem Gebäude verbaut worden. Für ihre Fotoinstallation konzentrierte sich Bettina Pousttchi auf die Wiedergabe charakteristischer Bauelemente des Palastes der Republik. Vor allem behält ihre Simulation die Rasterstruktur der spiegelnden Fassade bei. Sie erscheint auf der Netzhaut des Betrachters wie ein Nachbild des Originals, obwohl die am Computer erarbeitete Fotomontage in wesentlichen Teilen von der ursprünglichen Architektur abweicht. So vernachlässigt Pousttchi die weißen Betonbauteile des Palastes bis auf seine charakteristischen Vertikalen links und rechts des Eingangs. Und statt des Staatsemblems der DDR, Ährenkranz mit Hammer und Zirkel, installiert sie zwischen ihnen eine Uhr. Die Frontfassade setzt sie sodann spiegelbildlich auch auf die Rückseite der Temporären Kunsthalle, nur dass die Uhrzeit dort eine andere ist. Distanz zum realen Vorbild schafft Pousttchi aber auch durch die Verwendung von Schwarzweißfotografie. Sie bringt das charakteristische kupferfarbene Leuchten des Palastes zum Verschwinden. Und ganz wichtig: Ihre digitalisierten Fotos werden wie optische Störfeuer von schwarzweißen, horizontalen Streifen durchzogen, die ihren Realismus konterkarieren.

Es findet eine Art Fortsetzung, wenn auch weniger schmerzhaft, in ihrer neuesten Arbeit für die Frankfurter Schirn: »Framework« (2012) ist ebenfalls ein Werk zwischen Kunst und Architektur und abermals eine beeindruckende Fotoplastik. Wieder gehen Fotografie und Architektur eine überzeugende Symbiose ein. Pousttchis Arbeit nimmt zum Anlass für ihre Gestaltung die nicht abreißende Diskussion um die Frankfurter Altstadtbebauung. Sie dreht sich nicht allein darum, wie man bauen will, sondern auch darum, wovon man mit Hilfe der Architektur erzählt und woran man sich erinnern möchte. Die Rekonstruktionen des Frankfurter Römer versuchen, die Gegenwart der Stadt mit ihrer Vergangenheit zu verbinden. Der 80er-Jahre-Bau der Kunsthalle Schirn gibt dagegen ein entschiedenes Plädoyer für die Moderne ab. Pousttchi greift in ihrer neuen Fotoinstallation Fachwerkmotive auf, die sie in der Frankfurter Altstadt entdeckt hat: die Fassaden des spätmittelalterlichen Hauses Wertheym und des von den Bombenhageln im Zweiten Weltkrieg zerstörten und in den 1980er Jahren wieder aufgebauten Hauses »Schwarzer Stern«.

Pousttchis Werke lehren uns, das Eine wie das Andere in Betracht zu ziehen und damit dialektisch und also »auf Anhieb klüger« zu denken. (Adorno) Sie sind Prophylaxen gegen Klischees und Stereotypen und dabei von hohem ästhetischem Reiz. Sie verbinden nicht nur gekonnt konträre Perspektiven, sondern auch unterschiedliche künstlerische Referenzen wie Pousttchis spektakuläre »Double Monuments for Flavin and Tatlin« (2010).

Bettina Pousttchis Werke sind eine kritische Hommage an beide Künstler, die an die Kraft der Kunst glaubten, ultimative ästhetische Formen und Formeln schaffen zu können. Dieser Glaube ist Bettina Pousttchi und ihrer Generation definitiv abhanden gekommen. Nicht aber die Hoffnung, mit ihrer Kunst produktive Zweifel an jeder Form von Ideologie ins Werk setzen zu können.

Michael Stoeber