vergriffen
Artist Ausgabe Nr. 92
Portraits
Pawel Althamer | Andrea Winkler | Andreas Karl Schulze | Georg Winter | Bettina PousttchiInterview
Dr. Christoph Grunenberg, Direktor, Kunsthalle Bremen, Foto: Harald Rehling
Textauszug
Christoph GrunenbergJ.Krb.: Konzentrieren sich die Museen auf ihr Kerngeschäft, sind sie zwar dem Ideal des Museums nahe, aber für den Besucher nicht so attraktiv. Konzentrieren sie sich auf das Event, stimmen die Einschaltquoten, aber man entfernt sich mehr und mehr von der eigentlichen Aufgabe. Kann dieser Widerspruch aufgelöst werden oder nur eine bestimmte Verlaufsform finden?
C.G.: Ob der Widerspruch aufgelöst werden kann, weiß ich nicht. Die Kunsthalle Bremen hat in der Vergangenheit aus der Sammlung heraus sehr erfolgreiche Wechselausstellungen konzipiert. Trotz allem kämpfen wir auch damit, dass die gegenwärtige Sammlungsausstellung »Zauberspiegel« einen ganz anderen Zulauf hat als zum Beispiel eine Munch Ausstellung. Und das hat nicht nur mit Marketingbudgets, sondern auch etwas mit dem Inhalt zu tun, mit den Erwartungen an und dem Zuspruch zu einer Sammlungsausstellung. Dennoch halte ich es für unabdingbar, die Sammlung als Ansatzpunkt für Ausstellungen zu nehmen oder, wie ich es in der Tate Liverpool versucht habe, die Sammlung selbst als Ausstellung zu inszenieren, und so einen frischen Blick auf vielleicht bekannte Werke zu eröffnen.
J.Krb.: Bei den Eröffnungen treffen wir auf ein sehr gediegenes Publikum, hier graue Schläfen, dort Perlenketten, wenn man jüngere Leute sieht, so sind häufig die Eltern bereits Mitglied im Kunstverein. Was tun?
C.G.: Das Museum darf nicht Reflektion eines großbürgerlichen Zuhauses sein, es muss für alle da sein. Wir haben Mitglieder in allen Altersklassen und aus allen Stadtteilen, aber es gibt auch eine Überalterung der Mitglieder. Wir müssen uns in der Zukunft sehr anstrengen, ein neues, jüngeres Publikum zu gewinnen und dieses Publikum auch zu halten. Das ist ebenso ein Problem von anderen Kulturinstitutionen. Selbst Besucher von alternativen Konzerten sind nicht mehr so jung wie man vielleicht denkt. Sofern man das Ziel hat, gewisse gesellschaftliche, politische, soziale Strömungen oder Tendenzen zu reflektieren, muss man sich überlegen, wie dieses Haus wahrgenommen wird, wie man sich hier fühlt, wenn man in das Haus hineintritt. Aber am allerwichtigsten ist es, wie schlagen sich diese Ambitionen im Programm nieder? Alles andere ist im Grunde genommen äußerliche Kosmetik; diese Prinzipien müssen in einer Institution verankert sein und in allen Aktivitätsbereichen praktiziert werden.
J.Krb.: Sofern man Ihre bisherige Ausstellungspraxis verfolgt, ist festzustellen, dass Sie gern verschiedene Werke, Medien aus verschiedenen Epochen zusammenbringen, die bildende Kunst in Beziehung setzen zu anderen Bereichen wie Mode, Pop, Architektur, die Trennung der Gattungen hier Skulptur, dort Malerei überwinden. Paradigmatisch sind hier Ihre Ausstellungen »Summer of Love« (2005) und »Shopping« (2002) zu nennen. Was fasziniert Sie an diesem Crossover, das gern als Allheilmittel bemüht wird, um der bildenden Kunst auf die Sprünge zu helfen. Wer partizipiert von wem?
C.G.: Crossover ist so ein Terminus, der eigentlich seine Nützlichkeit überlebt hat. Heutzutage wird man wahrscheinlich diesen Begriff nicht mehr benutzen, obwohl immer noch genauso viel Austausch zwischen Kunst und anderen kreativen Bereichen stattfindet. Er wurde auch, wie Sie das richtig andeuten, zur Entschuldigung genommen, sich bei einem gewissen Publikum durch populistisches Programm anzubiedern. Mich hat vor allem daran immer die ernsthafte Wechselbeziehung und gegenseitige Befruchtung zwischen Kunst und Populärkultur interessiert. So auch bei der Ausstellung »Shopping: Hundert Jahre Kunst und Konsum«, in der die Wechselwirkungen zwischen der Kunst des 20. Jahrhunderts und Warenpräsentation und Kommerz untersucht wurden. Die Ausstellung dokumentiert die Annäherung an und Wechselwirkung von bildender Kunst mit der Ästhetik und den Verführungstechniken der Konsumkultur. Das ist ein seltsames Wechselspiel, wo die Kunst versucht, von den wesentlich größeren finanziellen und technischen Ressourcen des Handels, der Werbung, des Marketing und der Warenpräsentation oder auch der Popmusik oder des Hollywoodfilms zu profitieren – oder ihnen bewusst zu widerstehen und sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.
J.Krb.: Für viele überraschend oder unverständlich, haben Sie eine Ausstellung mit Friedensreich Hundertwasser angekündigt und wollen ihn »gegen den Strich« bürsten. Für Sie ist Hundertwasser ökologischer Vorreiter, Provokateur, feinfühliger Kolorist. Hingegen fallen mir die vielen Postkarten, Kalender und Drucke ein, auf denen der österreichische Künstler verewigt ist. Sie greifen auf die Epoche 1949 bis 1970 zurück, der späte Hundertwasser wird ausgeklammert. Warum gerade Hundertwasser?
C.G.: Weil Hundertwasser ein wichtiger und total unterbewerteter Künstler ist. Hundertwasser hat einen sehr hohen Wiedererkennungswert, aber es ist auch ein Name, der extrem belastet ist, wo das Spätwerk mit den hochauflagigen Grafiken und einer gewissen Tendenz zum Dekorativen absolut einen objektiven Blick auf diesen Beitrag des Künstlers zur Kunst des 20. Jahrhunderts verstellt. Die Ausstellung wird Hundertwasser als ein wichtiges und hochrespektiertes Mitglied der Avantgarde der 1950er und 1960er Jahre präsentieren und zu einer Neubewertung des Künstlers und seines Werkes führen.
J.Krb.: Und die Zukunft der Museen? Für Chris Dercon schaffe das Internet ein völlig neues Publikum, das Museum verliert somit an Autorität. Für Michael Fehr kann das Museum kein Ort von Massenansammlungen sein. Nicht die Zahl der Besucher, sondern die Intensität des Besuchs sei entscheidend. Bei einer Dominanz der neuen Medien können die Besucher keine eigenen Gedanken mehr fassen und das Museum schaffe sich als Ort ab, an dem die unmittelbare Auseinandersetzung mit Dingen möglich sei. Verliert das Original durch die neuen Medien an Bedeutung, werden Museen zu Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften, werden sie zu Dienstleistern oder bleibt alles beim Alten?
C.G.: Wenn alles beim Alten bliebe, dann würde das Museum in der Tat zum Mausoleum erstarren. Aber wir müssen nicht jedem letzten Trend hinterherlaufen. In historischen und technischen Museen wird zu sehr auf neue Medien und interaktive Spielereien gesetzt, das halte ich für eine große Gefahr. Andererseits sollte ein Museum nicht auf die Möglichkeiten, die neue Technologien und Kommunikationsmedien bieten, verzichten. Ich denke nicht, dass die Präsenz eines Kunstwerkes durch das Internet verringert, sondern eher multipliziert wird. Das Publikum ist heute global, es kann mit dem Internet überall erreicht werden. Das hat jedes Museum ernst zu nehmen und muss auch in diesem Bereich investieren. Es gibt gewisse Kollegen, die sagen bereits voraus, dass das Museum an sich als physisches Gebäude mit ausgestellten Werken schon am Ende ist. Daran glaube ich nicht. Die Begegnung mit dem Kunstwerk wird auch in der Zukunft bestehen, egal welche physische Form dieses Kunstwerk nun annimmt. Bei der Benutzung der neuen Medien hat ja schon ein gewisser Rückschlag eingesetzt, so braucht oder will man heute bei Audiotours nicht mehr alles haben, man braucht nicht mehr den iPod mit dem Film, der Musik, mit dem Ton, mit dem Internetzugang. Vielmehr geht der Trend zurück zum reinen Audioguide; es geht darum, das gesehene Werk zu kommentieren und sich nicht in irgendwelchen Spielereien zu verlieren.