Portrait

Die alten Mauertoten bei den neuen Mauertoten vor Melilla, 2015, Polit-Performance, © Patryk Witt/Zentrum für politische Schönheit

Textauszug

Zentrum für politische Schönheit
Einer breiteren Kunstöffentlichkeit wurde das »Zentrum für politische Schönheit« 2012 anlässlich der 7. Berlin Biennale erstmals bekannt. Dort nämlich praktizierte das Kollektiv ihre Aktion »Belohnung: 25000 Euro«. Sowohl im Stadtgebiet der Spreemetropole wie im Hof der Berliner KunstWerke hingen damals großformatige Plakate, auf denen sieben Strichzeichnungen der sogenannten »Panzerfamilie« zu sehen waren, also die Eigentümerfamilie des deutschen Rüstungskonzernes Krauss-Maffei-Wegmann. Der Konzern bereitete gerade die Lieferung von 200 Leopard-Panzern an das diktatorische Regime in Saudi-Arabien vor. Auf den Plakaten war außerdem zu lesen. »25000 Euro Belohnung: Wer hat Informationen, die zur Verurteilung dieser Personen führen?«.

Fahndungsbilder haben in der modernen Kunstgeschichte bereits Tradition, man denke nur an Marcel Duchamps Arbeit »Wanted: 2000 Dollar Belohnung«, 1923, oder an Andy Warhols Serie der »Most Wanted Men«, 1964. Doch die selbst erklärte »Denkfabrik« des »Zentrum für politische Schönheit« bindet, und eben dieses ist entscheidend, ihre Fahndungsbilder ein in eine politische Diskussion, die u. a. versucht die für den Menschen verachtenden Panzerdeal Verantwortlichen raus aus einer sie schützenden Anonymität zu holen. Und dieser Versuch gelang: Nicht nur übernimmt wenige Wochen später das Polit-Magazin der SPIEGEL die skandalöse Angelegenheit als Coverstory, einer der Eigentümer des Konzerns, Burkhart von Braunleben, wird zudem aus dem Gesellschafterkreis von Krauss-Maffei-Wegmann abgewählt. Dennoch: Deutschland belegt immer noch einen beschämenden dritten Platz bei den weltweiten Rüstungsverkäufen. »Belohnung: 25000 Euro« erfüllte trotzdem ein Stück weit genau jene Forderung, die Igor Stokfiszewski 2012 in seinem wichtigen Aufsatz »Das politische Programm der Kunst« so formuliert hat: »Die politische Kunst postuliert den Vorrang des Lebens vor der Ästhetik und die Überlegenheit des Kollektiven über das Individuelle, … sie will gezielt in außerkünstlerische Wirklichkeit eingreifen und – auf dem Wege der Überwindung sozialer Widersprüche, der Herbeiführung eines wirklichen Unterschieds und einer unumkehrbaren Transformation der Wirklichkeit – zur Schaffung einer universalisierten Zukunftsgesellschaft beitragen«(2).

Philipp Ruch erklärte diesen Umgang mit den Mauerkreuzen in einem Interview mit dem Autor so: »Wir haben diesem Denkmal über die EU-Außengrenzen zur Flucht verholfen. Und zwar vor dem Gedenken am 9. November 2014. Welchen Mauerfall will man feiern, solange Zehntausende Menschen durch Europas Außenmauern ertrinken. Die Weißen Kreuze sind in einem Akt der Solidarität zu ihren Brüdern und Schwestern geflüchtet. Sie wollten lieber den neuen Mauertoten beistehen, als die Gegenwart durch die Geschichte zu verschleiern.«(4) Das Medienecho auf diese Aktion war natürlich immens, selbstverständlich echauffierte sich erwartungsgemäß die CDU besonders dümmlich und auch ein juristisches Nachspiel stand an. Unter dem Strich aber war es dem »ZPS« wieder einmal gelungen, ein dringendes politisches Problem in einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen und zu diskutieren, beides ohne die für solche Diskussionen scheinbar vorgeschriebenen Auslassungen und Artigkeiten affirmativ zu akzeptieren.

Raimar Stange