Portrait

Ohne Titel, 2014, Schaumstoff, Holz, Courtesy the artist and Johnen Galerie, Berlin. Rechts: Niema tego zelgo coby na dobry nie wyzlo (In allem Schlechten steckt ein guter Kern), 2007, Installationsansicht Lehmbruck Museum 2015: alte Küchenmöbel, Kunstharz, Stoff, Schaumstoff, Licht, Lampenobjekt, Courtesy the artist and Johnen Galerie, Berlin, © Wiebke Siem, Foto: Andreas Meichsner

Textauszug

Wiebke Siem
Wiebke Siem macht das Private öffentlich, indem sie es in ihren raumgreifenden Installationen inszeniert und dramatisch verdichtet. Sie wirft nahezu voyeuristische Blicke hinter Schlafzimmertüren, schaut in fremde Kleiderschränke und Küchen. Sie lädt den Betrachter ein, dabei zu sein, und an der Lebenswirklichkeit ihrer allerdings niemals sichtbaren Protagonisten teilzuhaben. Fast so wie die Reality-TV-Formate des Privatfernsehens dringt sie ein in die Wohnstuben der Durchschnittsbürger und schafft mal mehr narrativ, mal stärker performativ aufgeladene, bühnenhafte Settings. Doch was im TV nur Oberfläche bleibt, verdichtet Wiebke Siem zu einer künstlerischen (Quint-)Essenz mit mitunter beißenden Nebenwirkungen.

Wiebke Siems eigentümliche Kompositionen entspringen einem offenen Werkbegriff und lassen sich daher vielfältig interpretieren. So rufen sie Erinnerungen an die Avantgarde-Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, etwa an Oskar Schlemmers Figuren aus dem Triadischen Ballett, wach. Obwohl sie mit häuslich konnotierten Materialien arbeitet, lässt sich Wiebke Siem höchst ungern als lupenrein feministisch agierende Künstlerin bezeichnen. Das explizit Politische auf dem Feld der Kunst auszutragen, liegt ihr fern. Vielmehr geht es ihr um eine inhaltlich-formale Auseinandersetzung mit der weitgehend männlich dominierten Moderne und den damit korrespondierenden Auswahlmechanismen des Kunstbetriebs. »Ich beziehe mich darauf in einer kritischen Art und Weise«, sagt sie. »Moderne Kunst wurde lange Zeit von Männern dominiert. Lange Zeit gab es nur wenige weibliche Künstlerinnen von Bedeutung.«

Betrat man den Hauptraum der Duisburger Schau, begegnete man zunächst einem gigantischen, schwarzen Teppichklopfer, der quer an die Wand gehängt war. Für Wiebke Siem verkörpert das Objekt »eine Mischung aus Spießigkeit und häuslicher Gewalt.« Die körperliche Züchtigung in scheinbar einträchtig zusammenlebenden Familien ist anscheinend auch heute noch präsent. Hinter der Fassade des harmonischen Familienideals verbergen sich oft Abgründe. Genau dieser schmale Grat zwischen bürgerlichem Ideal und unter der Oberfläche lauerndem Schrecken interessiert Wiebke Siem.

Mit der Verleihung des Kaiserrings an eine weibliche Künstlerin taucht die Frage nach der Rolle der Frau im Kunstbetrieb auf. Wiebke Siem dazu: »Ich habe so gut wie nie an einem feministischen Diskurs teilgenommen, an feministischen Ausstellungsprojekten, Diskussionsrunden oder Ähnlichem. Ich werde nicht als feministische Künstlerin gesehen. Ich bin mir aber bei jeder einzelnen Arbeit, die ich mache, dessen bewusst, dass ich eine Künstlerin bin und kein Künstler. Der Umgang mit der Kunst der Moderne und den davor liegenden Epochen, auf die man sich ja immer wieder bezieht in seiner Arbeit, ist fast ausschließlich aus einer männlichen Sicht auf die Welt entstanden. Als Künstlerin kann ich nicht anders, als das zu reflektieren, ob ich will oder nicht.«

Nicole Büsing / Heiko Klaas