Artist Ausgabe Nr. 104

Portraits

Renzo Martens | Trevor Paglen | Achim Bitter | La Biennale die Venezia 2015 | Nan Goldin

Interview

Daniel Marzona

Page

Wolfgang Michael

Portrait

Cedrick Tamasala, How my Grandfather survived, 2015, Chocolate, 38 x 21 x 24 cm, Exhibition view, KOW, 2015, © Renzo Martens / Institute for Human Activities, Photo: Ladislav Zajac / KOW, Courtesy of CATPC, IHA, KOW, Galerie Fons Welters, Amsterdam

Textauszug

Renzo Martens
Spaßgesellschaft: Vor sieben Jahren ist der niederländische Künstler Renzo Martens auf der ansonsten recht braven berlin biennale 6 recht unangenehm aufgefallen: Sein Filmprojekt »Enjoy Property, Episode 3«, 2008, war den meisten Besuchern und Kritikern einfach zu zynisch. Oder war er den Kunstfreunden insgeheim vielleicht zu (selbst)kritisch? Renzo Martens war für dieses umstrittene Werk in einen der ärmsten Staaten der Welt gefahren, und zwar in den Kongo. Dort hatte der Künstler versucht die Menschen davon zu überzeugen, dass die Armut und die Ausbeutung, die sie täglich erfahren, zugleich auch eine Ressource sein könnte, aus der sich für sie Einkommen generieren lässt. Einkommen, das sonst z. B. Presse und Dokumentarphotographen aus der vergleichsweise reichen Ersten Welt bekommen, indem sie die desaströsen Lebensumstände im Kongo dokumentieren. Also stellte Martens den Afrikanern ein Neonzeichen mit dem so programmatischen wie widerspruchsvollen Slogan »Enjoy Property« zur Verfügung und forderte sie auf, dieses in unterschiedlichsten Situationen demonstrierend aufzustellen, seine Botschaft zu diskutieren, einmal tanzten Kongolesen sogar fröhlich um die Neonwerbung herum. Und: Das provozierende Zeichen wurde von »einheimischen« Photographen, die sonst spezialisiert waren Hochzeiten und ähnliche Anlässe abzulichten, in später zu verkaufenden Bildern festgehalten. Doch, auch das zeigt der Film Martens, das Projekt scheiterte, die erhoffte Einnahmequelle erwies sich als eine, die nicht ausreichte tatsächlich die Armut zu lindern. Der Künstler aber flog anschließend, eine fertige Filmarbeit reicher, wieder zurück ins mehr oder weniger wohlhabende Europa.

Geschlossener Kreislauf: Renzo Martens zählt derzeit international zu den Künstlern, die »unser« neoliberales Kunstsystem am nachhaltigsten kritisieren. Dieses umso mehr, als er nicht die eh fragwürdige »fine art«, die mehr und mehr zu einem bloßen Spekulationsobjekt für Globalisierungsgewinner zu verkommen droht, in das Visier seiner Kritik nimmt, sondern die kritische Politkunst, die heuer angesichts der Krisen der Welt zumindest so etwas wie eine temporäre Sichtbarkeit gewonnen hat.

Also hat Martens vor einigen Jahren das Institute for Human Activities gegründet. Und dieses hat dann gemeinsam mit ihm die Congoles Planatation Workers Art League initiiert, die so etwas wie eine Künstlerkolonie 800 Kilometer entfernt von Kinshasa darstellt. Hier arbeiten Kongoleser Plantagenarbeiter und Subsistenzbauern unter der Anleitung »professioneller« Artisten künstlerisch, stellen z. B. Malerei und Skulpturen her. Selbstporträts sind ein geschätztes Sujet dieser Künstler. Ausgewählte Exponate der meist gegenständlichen Skulpturen aus Tonerde wurden kürzlich eingescannt, die Daten nach Amsterdam gemailt und dort von 3D-Druckern reproduziert – in Schokolade. Der Rohstoff für diese Schokolade kommt ebenfalls aus dem Kongo, der künstlerische Prozess spiegelt also eine typische postmoderne Produktionsweise im Rahmen der Globalisierung wieder. Und er verbessert dieses Mal tatsächlich die Lebensverhältnisse der künstlerisch aktiven Plantagenarbeiter, geht doch der Erlös jeden Verkaufs an diese.

Raimar Stange