Artist Ausgabe Nr. 104
Portraits
Renzo Martens | Trevor Paglen | Achim Bitter | La Biennale die Venezia 2015 | Nan GoldinPortrait
Reaper Drone (Indian Springs, NV, Distance ~ 2 miles), 2010, C-print, 76,2 x 91,4 cm, © the artist Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln
Textauszug
Trevor PaglenDas Fehlen aussagekräftiger und verständlicher Bilder über weitgehend abstrakte, höchst komplexe und unsichtbare Formen von politischen und ökonomischen Machtverschiebungen, darunter vor allem der umfassenden digitalen Überwachung wurde bereits des öfteren beklagt. Letztlich kursieren wenige häufig wiederholte Abbildungen von Servern, Ethernet-Kabeln, farbigen Diagrammen oder Emblemen wie das der NSA durch die Massenmedien. Die große Resonanz, die die investigative Arbeit und die daraus entstehenden Fotografien von Trevor Paglen seit einigen Jahren erfahren, ist nicht nur der Brisanz seiner Themen und der vorangegangenen Kontinuität seiner Arbeit geschuldet, sondern auch diesem Manko metaphorischer und visueller Versinnbildlichung.
Der Frankfurter Kunstverein widmet dem in Deutschland bisher nur wenig gezeigten Künstler aktuell unter dem Titel »The Octopus« eine Übersichtsschau mit Werken aus den vergangenen zehn Jahren, die inhaltlich in vielen Bereichen an die Einzelausstellung in der Kunsthalle Gießen 2010 anknüpft. Dabei werden die Arbeiten in Frankfurt ausgesprochen klassisch und überraschend konventionell präsentiert. In einigen Vitrinen ist exemplarisches Recherchematerial zusammen geführt. Die Ausstellung verzichtet auf einen Überbau, ist kuratorisch unkompliziert zusammengetragen (fast ausschließlich Leihgaben aus dem Konvolut der Kölner Galerie Thomas Zander) und versteht sich eher als Auslöser weiterer Talks, Symposien und Auseinandersetzungen, die Diskurse um Modelle kollektiver Wissensproduktion weiterführen. Dazu gehörte auch der Fotowettbewerb »Eagle Eye Photo Contest«, der Teilnehmer dazu aufrief, von dem in Deutschland bestehenden Prinzip der »Panoramafreiheit« Gebrauch zu machen. Die Ausnahmeregelung im Urheberrecht erlaubt es, von öffentlichen Plätzen und Straßen aus auch geschützte Werke, Gebäude und Kunstwerke zu fotografieren. In der Ausstellung bleibt spürbar, wie Paglen immer wieder neue Distributionswege für seine Arbeit zu finden sucht. Deutlicher definiert sich in Frankfurt aber Paglens Anspruch, sich expliziter als künstlerischer Fotograf zu positionieren, der sein Werk in einem ebenso ästhetischen und kunsthistorischen Diskurs verhandelt wissen möchte.
Paglen agiert als fotografischer Operateur, der darum kämpft, die verschiedenen Apparate in ihrer Funktion zu überwinden, die sich kreuzenden Absichten von Mensch und Apparat und ihre verschiedenen Wahrnehmungen aufzuhellen. Er beherrscht eine große Klaviatur medien-, bild- und fotohistorischer Diskurse. Dabei rückt er nicht nur die Spitze des Eisberges riesiger programmierter Apparaturen ins Bild, die daran sind, einen automatisierten totalitären Perspektivwechsel einzurichten, sondern auch die Rahmenbedingungen eigener Bildproduktion. Mit gehacktem, abgefangenem Material, zeigt er, wie Drohnen sehen oder was sie sehen (»Drone vision«, 2010).
Paglens Fotografien sind dennoch letztlich weder »gut« noch »schön«. Sie sind auf ästhetischer Ebene nicht revolutionär oder wirklich neu. Doch verorten sie die Bedeutung fotografisch konstruierter und überlieferter Landschaftsräume historisch neu. Beim Aufspüren der ersten Drohnen habe er sich unmittelbar an William Turner erinnert, dessen Landschaftsverständnis durch die Erfindung des Zugverkehrs gänzlich neu geprägt wurde. Der Himmel, traditionell als exterritorialer visionärer Raum, als Symbol für Freiheit und Grenzenlosigkeit, verstanden, erweist sich nun als Folie eines neu codierten und kolonialisierten Raumes, dessen mechanische Gegenblicke von oben, durch Satelliten und Aufklärungsdrohnen nicht nur die Erde, sondern ebenso die Bewegungsmuster ihrer Bewohner neu kartographieren.
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