Artist Ausgabe Nr. 104

Portraits

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Interview

Daniel Marzona

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Wolfgang Michael

Interview

Daniel Marzona, Galerist, Berlin, Foto: © Jakob Hoff

Textauszug

Daniel Marzona
J.Krb.: Anlässlich der Sofia Hultén Ausstellung im Bremer Künstlerhaus (2008) fand mit Ihnen eine Diskussion statt. Ihre Beiträge, heute nennt man das wohl Performance, waren weder eintönig noch emotionsgeladen, vielmehr traten sie sachlich, ruhig und überlegt auf, auch äußerlich boten Sie wenig Italienisches. Mir fiel die große Ähnlichkeit mit Ihrem Vater auf, der bereits in Deutschland zur Welt kam. Verbindet Sie noch etwas mit Italien, lieben Sie die Rotweine aus dem Piemont oder die Weißweine aus dem Friaul, sprechen Sie italienisch?

D.M.: Wie viele andere habe auch ich eine Liebe zu italienischen Rotweinen – es gibt übrigens auch sehr gute aus dem Friaul. Darüber hinaus habe ich zufällig einen italienischen Pass, der mir quasi in die Wiege gelegt wurde und mit dem ich nun durch die Welt reise. Mein Vater und ich sind wohl ein wenig sonderbare Italiener – wir lieben die Heimat meines Großvaters – ein kleines Bergdorf im Friaul – in dem wir uns selbst nach und nach wieder ein wenig heimisch gemacht haben. Gleichzeitig sind wir in Bielefeld aufgewachsen und entsprechend geprägt worden - daher vielleicht das Ruhige, Überlegte und Bedachte. Man sagt, die Ostwestfalen gingen zum Lachen in den Keller. Ein vermeintlich südländisches Temperament ist in diesem Umfeld bei uns wohl nie richtig zum Zuge gekommen. Mein italienisch ist leider nicht besonders gut, ich komme aber zurecht. Ansonsten fühle ich mich Italien nicht in besonderer Weise zugetan – es sei denn, es wird Fußball gespielt. Meine Mutter war polnischen Ursprungs und aus diversen Gründen habe ich früh begriffen, dass Nationalität als übergeordnetes Identifikationskonzept für mich nicht funktioniert. Kleingeistiges, nationalistisches Denken erschien mir schon vor 30 Jahren als nicht mehr zeitgemäß und so beschränkt sich mein Italienertum letztlich auf das Mitführen eines italienischen Passes in Ermangelung eines anderen.

J.Krb.: In welcher Weise definieren Sie Ihren Kunstbegriff, mehr gesellschaftlich bezogen oder selbstreferentiell, mehr inhaltlich oder formal?

D.M.: Ein streng formalistischer Kunstbegriff kann zu hervorragenden Werken führen und gleiches gilt für einen Kunstbegriff, der eher gesellschaftlich-politisch geprägt ist. Beides kann aber auch den Weg zu absolut langweiliger und redundanter Kunst ebnen. Es kommt also immer auf das jeweilige Werk und dessen spezifische geistige Grundlegung an – alles andere ist Ideologie. Letzten Endes gehöre ich aber doch zu denen, die auf die formale Gestalt eines Kunstwerkes Wert legen, da ich hier so etwas wie Vokabular und Grammatik vermute, mit denen ein Werk kommuniziert, ohne über ein Vokabular und eine Grammatik zu verfügen.

J.Krb.: Sie waren drei Jahre am P.S.1 in New York als Kurator tätig, leiteten sieben Jahre die Berliner Dependance der Konrad Fischer Galerie. Welche Erfahrungen konnten Sie dort sammeln, warum nun die Selbständigkeit?

D.M.: Ich habe sowohl im P.S.1 als auch in der Konrad Fischer Galerie sehr gute Erfahrungen gemacht und viel gelernt. In New York hatte ich das Glück die letzten Jahre von Alanna Heiss als Direktorin mitzuerleben. Von ihrer Erfahrung und Energie habe ich als damals noch junger Kurator sehr profitiert und unter anderem gelernt, wie man umfangreiche Projekte auch gegen Widerstände von Anfang bis Ende betreut. Die Arbeit in der Konrad Fischer Galerie hat mich auf andere Weise gefordert, aber auch dort gab es mit Dorothee Fischer eine erfahrene Galeristin, an deren Habitus man sich orientieren konnte, und die mir den Einstieg in den Kunsthandel leicht gemacht hat. Nach sieben Jahren standen dann Entscheidungen an, die letztlich dazu geführt haben, dass ich mich im vergangenen September selbstständig gemacht habe.

J.Krb.: Künstler entdecken, fördern und begleiten – sind das die wesentlichen Parameter Ihrer Galeriearbeit?

D.M.: Ja, das gehört alles dazu. Es ist mir aber genauso wichtig, das Werk von zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Künstlern zu zeigen und eine Neubewertung möglich zu machen. Ich renne also nicht permanent durch die Gegend und suche junge Talente. Das ist für eine Galerie sicher ein legitimes Geschäftsmodell, aber nicht meines. Bis ich mir sicher bin, dass eine künstlerische Position wirklich gut und tragfähig ist, sind die meisten Künstler nicht mehr allzu jung - und dann oft auch schon in anderen Galerien.

J.Krb.: Werke sind bereits verkauft, obwohl Farbe, Pinsel und Leinwand noch unberührt in der Ecke stehen. Schon während des Studiums wird an Ausstellungen teilgenommen. Die von den Museen präsentierten Künstler werden jünger und jünger, die Preise ihrer Werke steigen ins Unermessliche. Der Markt verlangt frische Ware, Künstler produzieren, Galerien verkaufen. Ein immer schnellerer Kreislauf. Schreibt der Markt heute Kunstgeschichte, wer hat die Definitionsmacht, was gute Kunst ist?

D.M.: Der Markt hat heute sicherlich eine größere Deutungsmacht als vor vierzig Jahren. Das heißt, momentan meinen sehr viele Kunstmarktteilnehmer, der Preis eines Werkes stehe notwendig in direktem Zusammenhang mit seiner Qualität. Dennoch schreibt der Markt keine Kunstgeschichte. Wie sich beispielsweise die Preise von Jeff Koons oder Damien Hirst in 50 Jahren entwickeln werden, wird auch davon abhängen, wie Kunsthistoriker und Kuratoren die Bedeutung ihrer Werke in 20 Jahren einschätzen. Ich würde mich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass sie ihren jetzigen Wert halten. Es gilt also zwischen kurzfristigen Preisphänomenen und einer langfristigen Perspektive zu unterscheiden. Hohe Preise für bestimmte Positionen können bestimmte Marktakteure heute manipulieren. Doch langfristig sind diese Preise nicht unbedingt zu garantieren. Das Spiel wird also auf lange Sicht nicht selten kippen, wenn andere, kapitalunabhängige Kriterien wieder in den Blick geraten.

J.Krb.: Zwar lässt sich ein Tafelbild leichter verkaufen als eine sperrige Skulptur, aber teilen Sie die Schlussfolgerung: Malerei sei Flachware, marktkonform und daher als Medium geringzuschätzen?

D.M.: Nein, diese Auffassung halte ich für dumm und bequem. Ich bin im Gegenteil der Überzeugung, dass es extrem schwierig ist, innerhalb der Malerei heute etwas Bedeutendes und Neues zu erschaffen. Ich habe daher großen Respekt vor allen, die sich auf diesem Gebiet versuchen.

J.Krb.: Es gibt Galerien, die froh sind, ihre Miete zahlen und sich
bestenfalls einen Praktikanten leisten zu können. Hingegen verfügt Larry Gagosian über 11 Niederlassungen, beschäftigt Dutzende von Mitarbeitern und hat einen Umsatz von mehr als 900 Millionen Dollar. Ist hier ein Verlust der Mitte zu beklagen? Haben diese Dimensionen überhaupt noch etwas mit dem zu tun, was Sie unter Galeriearbeit verstehen?

D.M.: Zur Beantwortung der Frage scheint eine nüchterne Betrachtung der Entwicklung des Kunstmarktes hilfreich. Der hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren fast vollständig an bekannten Mechanismen expandierender
Märkte orientiert, sodass wir nun eben auch sogenannte Marktführer haben. Und Marktführer müssen wachsen und größer werden, denn sonst werden sie geschluckt. Marktführer haben für den Käufer zudem den offenkundigen Vorteil, dass sie in der Lage sind, die getätigte Investition bestmöglich zu schützen, und so bedingen sich veränderte Angebotsstrategien und verändertes Nachfrageverhalten aufs Vortrefflichste. Das hat mit dem, was ich mache und unter Galeriearbeit verstehe, in der Tat nur noch sehr wenig zu tun, ist aber im Rahmen des allgemeinen Siegeszugs neoliberaler Marktlogik absolut verständlich.

J.Krb.: Galeristen lassen sich von namhaften Architekten das Ausstellungsdomizil bauen. Längst wird in Berlin nicht mehr das Ungepflegte gepflegt und das Marode kultiviert. Auch Vintagemöbel, das Wagyu Steak und die Party im Grill Royal, die Krokotasche von Louis Vuitton, die Reverso von Jaeger LeCoultre sind nicht mehr verdächtig. Vermissen Sie mitunter den Charme der rostigen Nägel?

D.M.: Ich habe mich nie so recht an alldem, was Sie beschreiben, beteiligt und bin da auch nicht so auf dem Laufenden. Um es klar zu sagen, Luxus hat mich in meinem Leben noch nie fasziniert oder interessiert. Ich geh zwar auch gerne gut essen und trinke lieber guten als schlechten Wein, aber als Beiprogramm des Galeriewesens ist mir das ganze gehobene Partygetue eher unangenehm – das sollen andere machen, mir gibt das nichts.

Joachim Kreibohm