Artist Ausgabe Nr. 113
Portraits
Hiwa K | Axel Hütte | Ralph Schuster | Jan GrooverInterview
Christian Kaspar SchwarmPage
Fernando BryceEssay
Roland SchappertEdition
Ralph SchusterPortrait
Pre-Image (Blind as the Mother Tongue), 2017, Installationsansicht, Athener Konservatorium (Odeion), documenta 14, Foto: Mathias Völzke
Textauszug
Hiwa KHiwa K sorgte auf der documenta 14 in Athen und Kassel mit gleich vier Arbeiten, drei davon speziell für diese Ausstellung konzipiert, produktiv für Diskussionen und zählte so zu den Entdeckungen der viel diskutierten Ausstellung. Der aus dem Irak kommende Künstler, der seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland lebt, installierte z. B. vor dem Kasseler Fridericianum seine auf den ersten Blick ins Auge fallende Skulptur »When We Were Exhaling Images«, 2017, die aus aufeinander gestapelten, etwa vier Meter langen Röhren aus Ton besteht. Normalerweise werden solche Rohre für Abwasserkanäle genutzt, für Hiwa K jedoch erfüllen die sich zu einer gleichsam abstrakten Großplastik zusammenfügenden Röhren eine andere, mindestens zweifache Funktion: Zum Einen sollen sie daran erinnern, dass Architektur nicht zwangsläufig vertikal ausgerichtet sein muss. Der Künstler will vielmehr die Tendenz des prestigeträchtigen immer-höher-Bauens mit seiner auf dem Boden auf liegenden Holzbrettern installierten Skulptur kritisieren. Gleichzeitig spielt er mit »When We Were Exhaling Images« darauf an, dass die von ihm hier vorgeführte Architektur des Horizontalen derzeit in Griechenland von Flüchtlingen »bewohnt wird«. Diese nutzen solche Rohre als temporäre Lagerstätte, in der sie darauf warten, in einem Schiff nach Italien übersetzen zu können.
Ein gutes Beispiel hierfür ist sein in Kassel im Stadtmuseum gezeigtes Video »View from above«, 2017. Zu sehen ist ein aktuelles Modell von dem im 2. Weltkrieg zerstörten Kassel, das in einer langsamen, scheinbar zufällig verlaufenden, ein wenig amateurhaft anmutenden Kamerafahrt gefilmt wurde. Das Modell selbst steht gleich im Nebenraum des Museums. Zu hören ist die fiktive Geschichte eines Flüchtlings aus dem Irak. Wie dort erzählt wird, stammt der Flüchtling, er heißt lapidar K, aus der sogenannten »unsafe zone« des Iraks, daher wird sein Asylantrag in einer wohl europäischen Stadt, ein Name wird nicht genannt, abgelehnt. Der beinahe anonyme Flüchtling flieht also, er war Deserteur im Irak, nach seiner Auslieferung in ein anderes europäisches Land. Dort lässt er sich von einem Iraker aus der »unsafe zone« von dessen Heimatstadt erzählen. Anhand eines Stadtplans lernt er mit ihm u. a. auf das genaueste die Straßennamen, Schulen, Krankenhäuser etc. der Stadt und deren geographische Lage auswendig. So gelingt es dem Flüchtling bei einem erneuten Antrag auf Asyl in dem dazu erforderlichen Gespräch erfolgreich vorzuspielen, er käme aus der »unsafe zone« und seinem Antrag wird nun endlich stattgegeben. K erfüllt hier die Anforderungen des Tests gerade deshalb, weil er die Stadt aus der »unsafe zone« eben nicht kennt, dort keine Alltäglichkeit erfahren hat, sondern diese abstrakt durch das Kartenlesen erlernt hat, also gewissermaßen ebenso »von oben« auf diese Stadt herabblickt wie der ihn testende Einwanderungsbeamte.
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