Artist Ausgabe Nr. 113
Portraits
Hiwa K | Axel Hütte | Ralph Schuster | Jan GrooverInterview
Christian Kaspar SchwarmPage
Fernando BryceEssay
Roland SchappertEdition
Ralph SchusterPortrait
o. T., 1978, Chromogendruck, 47 x 37 cm, © Jan Groover, Courtesy Super Dakota, Brüssel
Textauszug
Jan GrooverIhre Stillleben waren der Hit der Kunstsaison. Als Jan Groover 1978 mit ihren Aufnahmen von Küchenutensilien an die Öffentlichkeit ging, überraschte sie verschiedene Publikumsschichten gleichermaßen. Leute, die kaum Fotogalerien besuchten und deren Wissen sich auf berühmte Beispiele des Mediums beschränkten, wunderten sich darüber, was Fotos auch sein und leisten konnten. Kenner waren verwirrt, weil sie sich mit einem vermeintlichen Rückfall hinter den Entwicklungsstand der Fotografie konfrontiert sahen. Tatsächlich, die Paprika und Muscheln eines Edward Weston und die Abstraktionen von Schüsseln und Früchten Paul Strands aus den 1920er Jahren waren zweifelsfrei eine Quelle für Groovers gedankliche Impulse zu ihren Küchenstillleben. Allerdings fügte sie mit Farbe und Licht den Motiven eine neue Note hinzu und verlieh ihnen eine Dimension, die eine komplette Wand zu erfordern schien. Der Erfolg ihres Auftritts spiegelte sich schließlich in einem kunstpublizistischen Debüt: 1979 war es eines ihrer Stillleben, das es als erste Fotografie auf das Cover des Kunstmagazins »Artforum International« schaffte. Ganz so überraschend ist diese Premiere vielleicht nicht, wenn man berücksichtigt, dass Groover der Malerei entstammte und dass sie Kriterien und Kategorien des Malerischen in ihrem fotografischen Werk stets verhaftet blieb.
In Europa ist sie einer größeren Kunstöffentlichkeit kaum bekannt, allenfalls in Frankreich, wo sie von 1991 bis zu ihrem Tod im Jahr 2012 lebte. Auch Fotografen wie Annette Kelm oder Wolfgang Tillmans schätzen sie als wichtige Impulsgeberin. So füllt die Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst jetzt mit einer konzentrierten Präsentation der wichtigsten Werkgruppen und -epochen eine Lücke.
Die Schau schlägt einen Bogen von den frühen konzeptuell grundierten Bildreihen bis in die späten Stillleben, in denen sich Dingmagie mit Anleihen an die surrealen Arrangements etwas eines Giorgio de Chirico zu verbinden scheint. In den ersten Arbeiten aus den frühen 1970er Jahren, die als Bildreihen auftreten, stehen die spezifischen Möglichkeiten der Kamera, die Ausblendung einer künstlerischen Autorenschaft sowie die Erforschung kompositorischer Ideen im Fokus. Groover arbeitet seriell in Schwarz-Weiß mit einem festen Kamerastandort am Straßenrand und fängt das Erscheinen und Verschwinden von Fahrzeugen ein. Vor dem Hintergrund der Landschaft bilden die Wagen in Gruppen von zwei bis vier Bildern unterschiedliche formale Korrespondenzen aus. Organische und konstruktive Formen treten in Dialoge, Nähe und Distanz spielen eine Rolle, das Wechselspiel von Präsenz und Wahrnehmung wird thematisiert. Publiziert in dem schmalen Band »The Attributes of Positions. Semantics of the Highway«, gewähren Groovers Fotoreihen einen neben ihrer Strenge durchaus unterhaltsamen Einblick in die Bildsprache der Straße.
Wenn ab 1973 Farbe hinzukommt und wenn Lastwagen aufgrund ihrer größeren flächigen Ausdehnung ins Bild rücken, werden Groovers Straßenaufnahmen nicht bloß um formale Elemente erweitert, die Balance zwischen Form und Inhalt wird insgesamt noch stärker zum Thema der Komposition. Farbe besitzt an sich die Eigenschaft eines beschreibenden Attributs und bindet die Bildgegenstände damit an die reale Wirklichkeit.
Nicht unerheblich wirkt eine neue Kamera bei dieser Neufokussierung und -arrangierung des Gewöhnlichen mit. Schält Groover einerseits die Poesie des Profanen und Alltäglichen und damit materiell Zeitgeistiges aus ihren Küchenstillleben, gerät sie mit dem Thema des Haushalts andererseits auch in den feministischen Radius. Martha Roslers Video »Semantics of the Kitchen« aus dem Jahr 1975 bringt es in jener Zeit zu einiger Berühmtheit. So versammeln die Küchenstillleben Aspekte, die für verschiedene Betrachterkreise interessant sind und den Erfolg erklären können. Sie sind ebenso ästhetisch wie formal interessant. Sie rücken ihre Inhalte in ein reizvolles Licht und verdecken dabei nicht ganz ihr Konzept. Sie lassen sich genussvoll anschauen, aber es lässt sich auch trefflich über sie nachdenken. Ihre Qualität erweist sich nicht zuletzt daran, dass sich über sie reflektieren lässt, nachdem man ihnen eine Zeit der Betrachtung gewähren muss. Sie sprechen aus sich, ohne dass man über sie lange und umständlich Informationen einholen muss und doch sind sie sowohl für malerische als auch fotografische Diskurse anschlussfähig.
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