Artist Ausgabe Nr. 114

Portraits

Reinhold Budde | Thomas Judisch | Candice Breitz | Korpys / Löffler

Page

Wiebke Siem

Edition

Thomas Judisch

Portrait

Kunstverein Bremerhaven 2017: »Plattform«, Aluminiumprofile, weiß lackiert, 6 x 6 x 220 cm, 8teilig, Foto: Tobias Hübel

Textauszug

Reinhold Budde
Weit entfernt von einem inflationären Umgang und rein formalen Fragestellungen hat sich Reinhold Budde raumbezogenen Strategien verschrieben, die präzise in bestehende Raumgefüge eingreifen. Sein Weg dahin kann als Ausbruch des Bildes von der Wand in den Raum charakterisiert werden. Der Bremer Künstler hat sein Konzept ausgehend von der Malerei immer weiter in den Raum ausgedehnt. Die Arbeiten lösen sich von der Wand, dringen in den Raum und werden ausschließlich für eine bestimmte Raumkonstellation produziert. Beispielsweise seine Ausstellungen in Bremen im Gerhard-Marcks-Haus (2013), in der Galerie des Westens (2014), im Atelierhaus Friesenstraße (2016) sowie im Gartenpavillon des Malkasten e.V. in Düsseldorf (2015) und im Kunstverein Ruhr in Essen (2017).

Auch die von Thomas Trümper kuratierte Ausstellung in der Kunsthalle Bremerhaven (12. November 2017 bis 7. Januar 2018) lässt einen spezifischen Umgang mit dem Raum erkennen. Eine Ausstellung, die in besonderer Weise die Entwicklung des Werkes Reinhold Buddes von der Wand in den Raum fokussiert.

Plattform« lautet der Titel der Schau in Bremerhaven und bezieht sich auf Veränderungen der Empore, die unmittelbar zum Ausgangspunkt eines ästhetischen Kommentars wird. Acht weiß lackierte Profilleisten aus Aluminium fungieren als Stützen, scheinen die Empore zu tragen und eine nützliche Funktion zu haben, halten aber an ihren skulpturalen Eigenschaften fest. Die Profilleisten wirken wie Funktionsträger, eröffnen gleichermaßen ein Spiel mit Reflektion und Wahrnehmung. Schlussendlich bleibt ihre Funktion rätselhaft, der Betrachter befindet sich in einem Raum des Unbestimmbaren. Durch den mit großer Präzision ausgeführten Eingriff bekommt die Empore eine weitere Bedeutungsebene. Erinnerungen an Pfahlbauten an der Nordsee, Ölplattformen oder Aussichtsplattformen stellen sich ein. Referenzen, die sich nicht unmittelbar aufdrängen, aber dennoch wirksam sind. Der Boden der Empore ist mit Spiegeln aus silbrigem Dekomaterial bedeckt. Diese begehbare Spiegelung reflektiert nicht nur die Konstruktion der Decke, sondern auch den Betrachter in seiner Körperlichkeit. So wird der Betrachter als Betrachter ausgestellt und subtil in das Ausstellungskonzept einbezogen.

Geschickt lenkt der Künstler unsere Wahrnehmung. So wird der Blick des Betrachters von der Empore in den Raum magisch von einer Wandarbeit angezogen. Die Arbeit nimmt die Maße der Empore auf. Die Wandfläche ist geschwärzt und davor eine durchlässige schwarze Filamentmatte befestigt. Durch die mit leichtem Abstand von der Wand befestigte Matte erhält die Arbeit eine Tiefe und findet den Weg in den Raum. Filament ist ein Industrieprodukt und wird zur Befestigung von Deichen benutzt. Reinhold Budde ist in der Stadt am Wasser mit ihren Häfen, Containern und Deichen fündig geworden, hat Material gefunden, das seiner Arbeitsweise entspricht. Somit finden Verschränkungen zwischen Innen und Außen statt. Über das gewählte Material stellt sich ein Bezug zur außerbildlichen Realität her. Material wird hier zur Projektionsfläche, zur Fläche von Ideen, Gedanken und Vorstellungen. Budde reagiert pointiert auf das städtische Umfeld, seine Interventionen öffnen sich anderen Bereichen gesellschaftlicher Wirklichkeit und relativieren die Genügsamkeit selbstreferentieller Strategien und Konzepte.

Monochrome Flächen kommen nun in unterschiedlicher Materialität zur Erscheinung. Mal als gelb gefärbter Block aus Fotokarton, mal als roter Vorhang aus Bühnenmolton, mal als tiefschwarze Filamentmatte. Budde verzichtet auf das klassische Material der Malerei, so können diese Arbeiten als Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln gedeutet werden. Paradoxien machen auf sich aufmerksam: Zum einen löst sich Budde von den klassischen Ansätzen der Farbmalerei. Zum anderen findet er für die nach wie vor bevorzugte Monochromie neue Formen und bringt sie lapidar zur Geltung.

Seine mit handwerklicher Präzision ausgeführten Raumeingriffe sind in der Lage, ihre Umgebung neu zu strukturieren und in die Bewegungsabläufe der Besucher einzugreifen. Die üblichen Gewohnheiten, nach denen wir die Kunst gern in disparate Disziplinen einteilen, scheitern. Seine Arbeiten entziehen sich einem eindeutigen kategorialen Zugriff, denn Reinhold Budde arbeitet mit monochromen Flächen, gestaltet Objekte und schafft räumliche Situationen. Gekonnt verschränken sich Malerei, Installation, Skulptur und Design. Stets kommen unterschiedliche Referenzen und Bezüge zum Tragen, seien es Kunstgeschichte, Architektur oder Design. So weisen seine Interventionen über den real erfahrenen Raum und eine bloße Wahrnehmungsästhetik hinaus. Der Betrachter wird zum performativen Bestandteil der Inszenierung, muss sich im Raum bewegen, um das Werk zu erleben, die körperliche Erfahrung wird wesentlich. Reinhold Budde beherrscht den schmalen Grat von formaler Reduktion und sinnlicher Inszenierung, von Selbstreflektion und inhaltlicher Aufladung. Eine Verzahnung scheinbar widersprüchlicher Elemente findet statt. In dieser Ambivalenz liegt die Präsenz seines Werkes.

Joachim Kreibohm