Artist Ausgabe Nr. 114
Portraits
Reinhold Budde | Thomas Judisch | Candice Breitz | Korpys / LöfflerInterview
Bettina SteinbrüggePage
Wiebke SiemPolemik
Raimar StangeEssay
Roland SchappertEdition
Thomas JudischPortrait
Verwisch die Spuren, 2016, 2-Kanal-Videoinstallation, Installationsansicht Kunsthalle Tübingen 2017, Foto: Tobias Hübel, Courtesy Meyer Riegger, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2018
Textauszug
Korpys / LöfflerDie Installation »Verwisch die Spuren« von 2016, erstmals und bis dato einzig auf der 9. Berlin-Biennale präsentiert, ist Teil einer großen Einzelausstellung von Korpys/Löffler, die nun mit erster Station in der Kunsthalle Tübingen, dann im Kunstverein Braunschweig und dem Hartware Medienkunstverein in Dortmund bis Ende 2018 durch Deutschland tourt. Die Gelegenheit, die oft sehr aufwendigen Installationen und Filme der Künstler in größeren Zusammenhängen vergleichen zu können, sollte man sich nicht entgehen lassen. Zudem werden die ursprünglichen Deutungskontexte der Werke der Künstler nicht nur durch die unterschiedlichen Räumlichkeiten und Kontexte der Ausstellungsorte ge- und verformt, sondern auch durch aktuelle Ereignisse verrückt und gespiegelt. Ein Beispiel: »The Nuclear Football« ist einer der Filme der Künstler, der mittlerweile zum Klassiker zeitgenössischer Videokunst geworden ist. Mit diesem Film gelang den als Pressefilmern akkreditierten Künstlern 2004 ein neuer Ansatz im Kontext ihrer bisherigen filmkünstlerischen Formulierungen. Das damals von aller Welt beobachtete Medienereignis des Besuches des amerikanischen Präsidenten George W. Bush, als Staatsakt mit Polizeikolonnen, Begrüßungszeremonien, festlichen Militärparaden und freundlichen Staatsgästen, erweist sich in diesem Film als Ablenkungsmanöver von tatsächlichen Schauplätzen institutionalisierter Macht, die im Verborgenen stattfinden. Aufmerksamkeit gilt vielmehr einem kleinen schwarzen Koffer, der den Rufnamen »The Nuclear Football« trägt. Er birgt den Code, mit dem der jeweils amtierende amerikanische Präsident als Antwort auf einen möglichen »first strike« die Atomwaffen des Landes aktivieren kann. Die Existenz eines solchen Koffers war zum Zeitpunkt der Filmentstehung einem größeren Publikum noch kaum bekannt. Bei dem damaligen Staatsbesuch 2002 ging es darum, eine Allianz für den bevorstehenden Irakkrieg zu bilden, der bis heute die internationale, politische Architektur verändert hat. Bereits der damalige amerikanische Präsident hatte immer viel Kritik und Häme einzustecken. Aktuell sieht die Lage weit brisanter aus. War man 2016 noch überzeugt, dass ein »pathologischer Lügner, windiger Geschäftsmann und eitler Narzisst« kaum ins Weiße Haus einziehen würde, galt als vorrangigster Grund dagegen, dass ein Mann mit so wenig Selbstbeherrschung niemals in die Nähe dieses sprichwörtlich gewordenen Codes gelangen dürfe.(1)
Obwohl das Künstlerduo Korpys/Löffler oft auf tagespolitische Ereignisse, Einweihungen von Denkmälern und Architekturen, Widerstandsformen (z.B. auf G20-Gipfeln oder Gorleben-Demonstrationen), rituell inszenierte Empfänge wie Papst- oder Präsidentenbesuch reagiert hat, leiden die Werke nicht an einem Verfallsdatum. Ihre sorgfältig ausgewählten Recherchen enden als weitsichtige Beispiele für fortzuschreibende Mechanismen und Repräsentationsstrategien von Macht, Kontrolle und ihrer Auratisierung. Zugleich hinterfragen die Künstler die sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Verortung politischer Teilhabe und politischer Ohnmacht. Inwieweit die übertragbare Brisanz der Themen allerdings von einem jüngeren, bisweilen geschichtsverdrossenen Publikum gelesen werden kann oder will, gehört vielleicht zu den interessanten Beobachtungsfeldern einer solchen Ausstellungstournee.
In einer ihrer jüngsten Videoinstallationen untersuchen die Künstler mit fotografisch-standbildartigen Aufnahmen das Gelände um den nicht zugänglichen Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. Untermalt sind die durchkomponierten Bilder von dudeliger Warteschleifenmusik und Anrufen der Künstler, die sich mit der Beschreibung von Fundstücken vor Ort an Unterabteilungen des Bundesnachrichtendienstes wenden. Wann und wo und von wem die Telefonate aufgezeichnet wurden, lässt sich allein akustisch nicht entschlüsseln. Umso amüsanter ist aber die Möglichkeit, hineinzuhorchen in die von Anrufbeantwortern und Service-Mitarbeitern generierte Alltäglichkeit der Verfassungsschutzbehörden. Diese dreikanalige, raumgreifende Videoinstallation »Personen, Institutionen, Objekte, Sachen« (2014), verleiht auch der Ausstellungstournee ihren Titel. Zugleich zitiert er Ordnungskategorien aus der von Horst Herold in den 1970er Jahren gegründeten gleichnamigen Datenbank, die zu einem Hauptinstrument für die damals umstrittene Rasterfahndung wurde. Als bahnbrechend galt hierbei der Ansatz, möglichst viele Daten der gesamten Gesellschaft zu sammeln und auszuwerten, um dann nach Abweichungs- und Ausschlusskriterien zu fahnden. Heute erfassen Geheimdienste, automatisierte Suchmaschinen, soziale Netzwerke wie Facebook oder WhatsApp in Sekunden und weitgehend widerstandslos ein Vielfaches an personenspezifischen Daten. Doch scheint das momentan nur wenige zu interessieren. Aktuell treiben nicht nur Hacker, sondern die User selbst ihre heißgeliebten Kommunikationstools in den kurzweiligen Systemcrash. Ca. 42 Milliarden WhatsApp-Nachrichten werden angeblich derzeit täglich verschickt. Ob sich zukünftig eher die Strategie durchsetzen wird, mit animierten Gifs und sinnfreien Texten die Server zu ersticken oder doch die, darauf zu setzen, »die Spuren zu verwischen«, wird sich in naher Zukunft zeigen.
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