Artist Ausgabe Nr. 114

Portraits

Reinhold Budde | Thomas Judisch | Candice Breitz | Korpys / Löffler

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Wiebke Siem

Edition

Thomas Judisch

Portrait

Love Story, 2016, 7-channel installation, Commissioned by National Gallery of Victoria (Melbourne), Outset, Germany (Berlin) and Medienboard, Berlin-Brandenburg.Installation view KOW, Berlin, 2017, Courtesy of Candice Breitz and KOW, Berlin, Photo: Ladislav Zajac | KOW

Textauszug

Candice Breitz
Spätestens seit Candice Breitz letztes Jahr ihr »Heimatland« Südafrika auf der 57. Venedig Biennale vertreten hat, gehört die schon länger in Berlin lebende Breitz zu den international renommiertesten Videokünstlern ihrer Generation. Erstmals bekannt geworden ist sie mit Arbeiten, die damals, ab Ende der 1990er Jahre, im Kontext des Crossover von Pop und Kunst verortet wurden (siehe das Porträt in Artist Nr. 54). Exemplarisch dafür ist z. B. Breitz’ Videoinstallation »Queen / A Portray of Madonna« (2005). In dieser Videoinstallation steht der Fan als »aktiver Rezipient« auf dem Prüfstand, die Arbeit lässt bewusst unentschieden, ob die in der Installation zu sehenden Fans in den Aufnahmen selbst aktiv Schaffende sind oder ob sie bloß wie ein nachplappernder Papagei ihr Vorbild Madonna imitieren.

Der Glaube an eine solch emanzipative Kraft des Pop aber schien bei Candice Breitz bereits 2003 beinahe gänzlich verschwunden zu sein, sichtbar wird dieser »Utopieverlust« in der Video-Installation »Becoming«. Die Künstlerin spielt in dieser Arbeit Monologe bekannter Schauspielerinnen - z. B. Drew Barrymore, Cameron Diaz und Julia Roberts - aus sogenannten »romantischen Hollywoodkomödien« nach. Dabei schlüpft Breitz so perfekt in die Rolle der von ihr ausgewählten weiblichen Filmstars, dass es sich bei ihren - identifizierenden? - Auftritten augenscheinlich nur noch um bloße Kopien handelt, nicht mehr um ein kreatives Neu- und Uminterpretieren der jeweiligen Scripte, wie bei einigen Fans in »Queen / A Portray of Madonna«. Um dieses zu verdeutlichen werden dann auch in »Becoming« Rücken an Rücken sowohl die »Originale« der Schauspieler wie die »Kopien« der Bildenden Künstlerin auf je einem Monitor von der Künstlerin gezeigt. So wird die »manipulative Auswirkung der Massenmedien auf unsere Vorstellung und letztlich auf unser Handeln« offensichtlich, wie Ulrike Groos anlässlich Candice Breitz’ Retrospektive »Candice Breitz: Ponderosa« 2016 im Kunstmuseum Stuttgart zutreffend betonte.

Spätestens mit der Video-Installation »Love Story«, 2016, dem Beitrag für die 57. Venedig Biennale 2017 der konzeptionellen Video-Artistin, setzt dann eine explizite Politisierung in der künstlerischen Arbeit von Candice Breitz ein. Denn in dieser Installation steht eines der dringendsten politischen Probleme weltweit zur Disposition: die Flucht. Die Hollywoodstars Julianne Moore und Alec Baldwin sprechen in »Love Story« ihre Interpretationen von intensiven Interviews, die Candice Breitz zuvor mit sechs Flüchtlingen geführt hat, darunter mit Dr. Shabeena Francis Saveri, die aus Indien in die USA geflohen ist, um als Transgender-Frau den Repressalien zu entgehen, denen sie in Indien ausgesetzt war. Oder da ist die junge Syrerin Sarah Ezzat Mardine, ehemaliger Schwimmstar in ihrer Heimat, die vor den Kriegsgräueln in Syrien nach Deutschland geflohen ist und dort derzeit um Asyl bittet. Und da ist auch Farah Abdi Mohammed, der aus religiösen Gründen aus Somalia nach Berlin floh.

Wir sehen deren oftmals dramatischen Geschichten lapidar aufgeführt von Julianne Moore und Alec Baldwin, die in jeweils schlichter, schwarzer Alltagskleidung gekleidet sind und kaum geschminkt auftreten vor grünem Hintergrund, einem sogenannten »Greenscreen«, der im Filmbusiness sonst dazu dient, Schauspieler so zu filmen, dass sie später problemlos in andere Filmaufnahmen oder Computeranimationen eingefügt werden können. Auffallend ist, dass sich das Outfit der zwei Schauspieler immer wieder ein wenig ändert, eine Sonnenbrille kommt hinzu, ein Armreifen verschwindet. Bei genauerem Hinsehen erkennt man dann, dass hier insgesamt eben sechs leicht verschiedene Charaktere zu sehen sind. Sechs Stories von den besagten Flüchtlingen werden von Moore und Baldwin dann vorgetragen, selbstverständlich in perfekter, filmreifer Schauspielkunst. Eine stringente Narration jedoch sucht man vergebens, als roter Faden der Monologe erweist sich aber die Erfahrung von Flucht, Gewalt und Angst.

Bei genauerem Hinhören merkt man, dass es sich um überaus unterschiedliche Geschichten über Fluchten und deren Motivationen handelt, die ineinander verwoben werden, wobei Moore die Geschichte der Frauen, Baldwin die der Männer wiedergibt.

Im Dezember 2017 betitelte Candice Breitz »Love Story« anlässlich einer Ausstellung in der australischen »National Gallery of Victoria« neu: »Wilson must go« heißt sie jetzt dort. So demonstrierte die Künstlerin gegen die Sicherheitsfirma »Wilson«, die für das Museum arbeitet, aber auch für Australien Tausende Flüchtlinge auf einer Insel in Neu Guinea gefangen hält.

Raimar Stange