Artist Ausgabe Nr. 136

Portraits

Julia Scher | Michael Rakowitz | Hannah Villiger | Mona Kuhn | Claudia Wieser

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Hannah Wolf

Edition

Hannah Wolf

Portrait

Installationsansicht YVES SAINT LAURENT – SHAPES & FORMS | Decors and works by Claudia Wieser, Musée Yves Saint Laurent Paris, 2023, Courtesy the artist; Sies + Höke,
Düsseldorf; von Bartha, Basel/Copenhagen, Photographer: Thibault Voisin

Textauszug

Claudia Wieser
Wenn Claudia Wieser über ihre Arbeit spricht, klingt das ganz unspektakulär: »Ich versuche, die Objekte so simpel und minimalistisch als möglich zu halten mit dem Fokus auf die Form und das Material.«(1) Was sich hinter dieser schlichten Feststellung verbirgt, ist die mit großem Ernst auf das Wesentliche gerichtete Konzentration aus dem Wunsch stetiger Verfeinerung der sinnlichen Wahrnehmung. Was immer diese Künstlerin in die Hand nimmt, so scheint es, Holz, Keramik, Glas, Fotografie, Textil, Metall, alles verwandelt sich auf wunderbare Weise in Schönheit. Ausgewogenheit, Harmonie, Gleichmaß sind die Maßstäbe, die im Verbund mit der richtigen Dosis Innovation zu präzisen und exklusiv wirkenden Ergebnissen führen. Diese Oberflächen und Proportionen sind millimetergenau gearbeitet und schaffen spannungsvoll ausbalancierte Verhältnisse, beim einzelnen Objekt ebenso wie zwischen den sorgfältig einander zugeordneten Elementen der Boden, Decken und Wände einbeziehenden Rauminstallationen.

Der Vergleich mit der großen Geschichte der Bauhaus-Schule drängt sich fast auf. Die 1919 in Weimar gegründete und 1925 nach Dessau umgesiedelte Hochschule verstand sich von Anfang an als Ausbildungsstätte, die Architektur, Kunst und Design zusammenführt. Kein neuer Stil sollte entwickelt werden, sondern, wie der Gründungsdirektor Walter Gropius in seinem Manifest forderte, die künstlerische Arbeit an sich sollte reformiert werden. Sie sollte auf ihre Grundlagen und Voraussetzungen zurückgeführt werden, die Gropius – selbst Architekt – im Handwerk sah, als den Bereich, der sich dem Material widmet und der gelehrt und erlernt werden kann im Gegensatz zur Kunst. Im Kern steckt in diesem Ansatz die utopische Vision, durch handwerkliche Veredelung das Leben zu veredeln. Mit ihrem Fokus auf dem Material und den daran festzumachenden Stufen der Verfeinerung und Vervollkommnung schließt Claudia Wieser an historische Bestrebungen wie dem Bauhaus, der Arts and Crafts-Bewegung in England oder der Idee des Gesamtkunstwerkes an, die mit ihrer Forderung einer Vereinigung der Disziplinen auch eine Kritik an der Vorrangstellung der bildenden Kunst gegenüber den angewandten und darstellenden Künsten verbanden. Es geht um nichts weniger als um eine Reform des Kunstbegriffs.

Claudia Wieser arbeitet mit Versatzstücken, die sie immer wieder auf andere Weise einsetzt und variiert, je nach der räumlichen Gegebenheit oder auch einer thematischen Vorgabe. An die Stelle der Fotokopien treten gedruckte Wallpaper, die aus unterschiedlichsten Motiven am Rechner komponiert werden. Eigene Fotografien wechseln mit gefundenen Bildern ab, wie auch die Epochen wechseln. Schnappschüsse aus dem hochtourigen Stadtleben der heutigen Zeit werden unterbrochen von Schwarzweißaufnahmen archaischer Landschaften oder antiker Artefakte, die der transitorischen Flüchtigkeit des Lebendigen nicht nur die ewiggültige Formensprache eines Faltenwurfs, eines klassischen Frauenprofils oder einer eindrucksvollen Vase, sondern auch eine statuarische Ruhe entgegensetzen. Polaritäten und Gegensätze sind seit jeher wichtige Kompositionsmittel. Sie werden von Wieser virtuos, aber natürlich in ökonomischer Zuspitzung eingesetzt.

Wie bei ihren Ausstellungen üblich baute Claudia Wieser ein detailgetreues Modell, um alle Möglichkeiten durchzuspielen. Bedenkt man, dass es bei den hochempfindlichen Stoffen üblich ist, die Ausstellungsdauer auf wenige Monate einzuschränken und die Kleider danach 5 Jahre nicht mehr dem Licht auszusetzen, lässt sich ermessen, wie wichtig gerade hier eine akribische Planung im Vorfeld ist. SHAPES & FORMS (09.06.2023 – 14.01.2024) rückt die Farben und Formen, die verschiedenen Stoffe und Haptiken der Entwürfe ins rechte Licht durch die Gestaltung einzelner Wände und vorsichtige Zutaten wie Spiegel, Keramikreliefs und eingezogene Kupferflächen. Es ist ein Dialog entstanden, in dem die Frage der Unterscheidung zwischen angewandter und bildender Kunst obsolet geworden ist.

Sabine Elsa Müller